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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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Menschen flohen. Ein paar Betriebe konnten einiges fortbringen, aber viele konnten nichts retten, weil der Angriff so plötzlich kam. Die »Krupskaja-Textilfabrik 8. März« brannte am 23. ab. Diese Textilfabrik brannte zweimal. Als sie zum ersten Mal in Brand geriet, wurde sie gelöscht. Als sie zum zweiten Mal in Brand geriet, brannte sie komplett nieder. Rohmaterial und Ausrüstung konnten herausgeholt werden. Es stand noch eine Halle, wo an einer Transmissionsanlage gearbeitet worden war. Dort blieben wohl etwa 75 Nähmaschinen zurück. Als das Rohmaterial weggebracht war, kamen weder Direktor noch Parteisekretär wieder zurück. Sie ließen die Halle im Stich, die Halle brannte später ab, die Transmissionsanlage war dringeblieben, die Nähmaschinen nahmen wohl die Deutschen mit. Fabrikdirektor und Parteisekretär wurden dafür als Deserteure und Feiglinge aus der Partei ausgeschlossen.
    Pixin (Sekretär des Parteikomitees, Stadt Stalingrad): Vom 23. August, d.h. vom Beginn des Bombardements an, schritten wir zur Evakuierung der Bevölkerung. Die Evakuierung verlief organisiert. In erster Linie wurden die Familien der Arbeiter und die Arbeiter selbst evakuiert. Es wurde ein Fährverkehr über die Wolga organisiert. […]
    Die Umstände der Evakuierung waren extrem hart, es war schwierig, über die Wolga zu evakuieren, denn unsere kleinen Dampfer wurden bombardiert, und viele Menschen kamen um. Als wir Transporte auf der Eisenbahnlinie Saratow losgeschickt haben, wurden viele zerbombt. Besonders heftig bombardiert wurde der Zug mit Arbeitern der Fabrik »Roter Oktober« in Leninsk, dann auf dem Weg nach Elton und Pallassowka …
    Die Evakuierung der Bevölkerung verlief unter extrem schweren Bedingungen, vor allem weil der einzige Transportweg die Wolga war, alles musste über die Wolga gebracht werden. Über die Wolga musste die Armee unaufhörlich mit Munition und Verpflegung versorgt und gleichzeitig die Bevölkerung evakuiert werden. Hunderttausende mussten evakuiert werden, hauptsächlich Frauen und Kinder. Ungefähr 60 bis 70 Prozent waren Frauen, Kinder, alte Leute. Es gab Verwundete, die die Evakuierung erschwerten.
    Joffe (Direktor, Medizinisches Institut): Übergesetzt wurde die ganze Zeit mit Booten und zweimotorigen Armeefähren. Die ersten zwei, drei Tage setzte die Bevölkerung unorganisiert über. Vom 27. an verlief das Übersetzen glatt. Am Ufer verbrannte der ganze Besitz des Instituts, der für die Evakuierung bestimmt war, und das Institutsgebäude brannte am 25. August ab. Wir konnten nichts retten. Ein einziges Import-Mikroskop schleppte Professor Kolossow eigenhändig nach Saratow. Wir gingen zu Fuß in Richtung Tscheboxar, wo unsere Sammelstelle eingerichtet war. In Saratow trafen wir uns alle wieder.
    Poljakow (Stellv. Vorsitzender des Sowjetkomitees, Gebiet Stalingrad): Nicht weit vom Cholsunow-Denkmal [335]   arbeiteten noch zwei Fähren. Eine besonders große Anzahl Menschen wurde von der Fähre beim zentralen städtischen Wasserwerk transportiert, die ebenfalls pausenlos bombardiert wurde. Außer den städtischen Fähren gab es hier sehr bewegliche Doppelboote, starke, schnelle Motorboote, die die Wolga aneinandergekoppelt in acht bis zehn Minuten überquerten. Sie nahmen ungefähr zehn bis zwölf Kraftfahrzeuge auf, und in den Zwischenräumen standen noch 200 bis 250 Personen. Zwei Boote wurden miteinander verbunden, dazwischen kamen Planken. Auf den Planken standen die Fahrzeuge.
    Es gab sehr schwere Tage, wie zum Beispiel den 27., 28., 29. August, als wir 30 bis 40000 Personen täglich über die Wolga brachten. Es waren etwa tausend Ruderboote bereitgestellt worden, doch der Einsatz der Ruderboote wurde nicht gut organisiert. Am rechten Wolgaufer nahm man sie sehr gerne, doch sobald sie am linken Ufer angekommen waren, war es problematisch, sie zurückzukriegen. […]
    Ich war Tag und Nacht dort […]. Die Anwesenheit von Leitungspersonal flößte den Menschen am Wolgaufer eine gewisse Ruhe ein […]. Mir standen ein Zug Milizionäre und die gesamte Binnenschiffermiliz zur Verfügung, die die entsprechende Ordnung garantierte und der Bevölkerung die nötige Unterstützung gab. Ich war bis zum 5. September dort. Danach war ich in Krasnaja Sloboda. Im Tagesverlauf musste ich zwar immer wieder auf die rechte Seite, insbesondere zum zentralen Gefechtsstand im Stadtgarten, doch einen Großteil der Zeit verbrachte ich schon auf der linken Seite, weil sich dort eine kolossale

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