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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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Unterständen gefunden.
    Da gab es folgenden Fall. Die Deutschen wurden aus einem Unterstand vertrieben, das Feuernest dort wurde liquidiert, aber wir gingen an dem Tag nicht in den Unterstand. Am nächsten Tag gingen wir gegen Abend rein. Da war ein Mädchen von sieben oder acht Jahren, das zwischen den Leichen lag. Sobald wir reinkamen, schrie es: »Holt mich raus, mir ist so kalt mit denen.« Ihre Mutter war tot. Generalmajor Sokolow, Kommandeur der 39. Division, [339]   nahm das Mädchen zu sich.
    Matewosjan (Chefingenieur der Fabrik »Roter Oktober«): Dreimal haben wir das Werk vermint und dann wieder entmint. Wir hatten eine direkte Verbindung zum Armeestab und zum Stab der Division, die uns verteidigte. […] Als wir das letzte Mal zu General Tschuikow gingen, sagte er, dass es aus Moskau keine Anweisungen gebe und dass wir wohl kaum sprengen würden. Wir würden bis zum letzten Mann kämpfen. […] Wir entminten wieder. Danach haben wir noch einmal vermint, weil das aus unserer persönlichen Sicht das Richtige war; in Befehlsform hat uns ja niemand was gesagt. […] Dann hieß es aus Moskau, wir sollten wieder entminen, anscheinend gab es einen Befehl von Berija [340]   . […] Wir [341]   waren am 4. Oktober die Letzten, die das Werk verließen.
    Subanow (Chefingenieur im Energiekombinat Stalgres): Seine höchste Intensität erreichte das Artilleriefeuer am 23. September, als etwa 400 Granaten auf unser Objekt abgefeuert wurden. Ein heißer Tag war das und eine schwere Zeit für das Arbeitspersonal; besonders unheilvoll erwies er sich für unsere Aggregate.
    Zunächst mit Einzelschüssen, dann mit Salven (die die Militärs normalerweise Artillerieschlag nennen) wurde unser Kraftwerk vollkommen außer Betrieb gesetzt. […] Geschosse, die das Kraftwerk trafen, brachten neben ihren Splittern die Zerstörung von Gebäudeteilen und Aggregaten mit sich, und die ganze Masse, Splitter, Konstruktionselemente, Glas, Holz, Ziegel, Metall, das alles stürzte den Menschen, die sich an ihrem Arbeitsplatz aufhielten, auf den Kopf. Besonders schwer war es im Kesselhaus. […] Es genügt, wenn ich sage, dass dem Wasserprüfer Dubonossow an diesem Tag ein Geschoss vor die Füße fiel, das nicht explodiert war. Er wusste nicht, dass das ein Geschoss mit verlangsamter Wirkung war, er riskierte sein Leben, doch er verließ seinen Arbeitsplatz nicht. Ich habe seine Gemütsbewegung selbst beobachtet. Er beruhigte sich erst, als das Geschoss vorsichtig von seinem Arbeitsplatz entfernt und anschließend weggebracht worden war.
    Das Kraftwerk wurde also abgeschaltet. Wir mussten entscheiden, was zu tun war. Die Deutschen hatten sich sehr gut eingeschossen, das Feuer war exakt. Unter diesen Bedingungen war die Arbeit für das Personal gefährlich. […] Ich rief die Leiter der Abteilungen zusammen, um mich mit ihnen über das weitere Vorgehen zu beraten. Im Scherz nannten wir die Besprechung später Beratung in Fili. [342]   Die Frage lautete, was werden sollte. Wenn man abschaltete, hieß das, dass die Fabriken in der Nähe keine Panzer reparieren, keine Geschosse produzieren konnten, es hieß, dass der ganze Bezirk ohne Wasser war, es hieß, dass die Armee kein Brot hatte. Wenn man das Kraftwerk laufen ließ, war das eine direkte Gefahr für das Personal und die komplette Leitung. Es ist typisch, dass keiner der Abteilungsleiter das Wort »nein« aussprach. Alle fällten sehr bescheiden und leise, unter der unaufhörlichen Begleitmusik der Artillerie, das Urteil: Das Kraftwerk muss laufen. Das Kraftwerk lief am selben Tag, am 23. September, wieder an.
    Die anbrechende Dunkelheit schränkte das Artilleriefeuer anfangs ein wenig ein und stoppte es später ganz. Offenbar orientierten die Deutschen den Beschuss an Rauch und Dampf, die vom Kraftwerk ausgingen. Das Artilleriefeuer hörte bis zum 10. November nicht auf. Doch die Lektion des 23. September brachte unsere Leitung auf Gebietsebene dazu, das Kraftwerk nur noch nachts laufen zu lassen.
    Pixin (Sekretär des Parteikomitees, Stadt Stalingrad): Es gab einen Vorfall, der hatte schon Ähnlichkeit mit einem Witz. Es wurde unglaublich geschossen. Semljanski, Direktor von Stalgres, schrieb dem Oberbefehlshaber der Armee eine Forderung und kleidete sie in folgende Worte: »Ich bitte darum, unverzüglich die feindliche Artillerie zu vernichten, da sie Stalgres an der Arbeit hindert. Im Nichterfüllungsfall werde ich mich an die höheren Instanzen wenden.« Schumilow

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