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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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abgeändert – ohne das adelnde »von« – wurde im selben Jahr ein gleichlautendes Schild am Seiteneingang des Kaufhauses neben der Kellertreppe aufgehängt. Es zog, wie das Foto auf S. 314 bekundet, noch im Sommer 1944 Besucher an.

Im Keller des Stalingrader Kaufhauses. Fotograf: Sergei Strunnikow

Eingang zum Keller des Kaufhauses, Stalingrad 1944. Fotograf: Samari Gurari
    Im Jahr 1951 wurde das Schild durch eine Bronzetafel ersetzt, die Paulus Namen nun richtig wiedergab, zugleich aber den Hergang vom 31. Januar 1943 episch aufbauschte. Sie beschrieb den Gegner als »Stalingrader Armeeverband …, der in der großen Stalingrader Schlacht von der ruhmreichen Roten Armee umzingelt und zerschmettert wurde«. Die Bronzetafel würdigte die 38. Schützenbrigade unter dem Kommando von Oberst Burmakow, erwähnte Oberleutnant Winokur aber mit keinem Wort. Im Zuge der antisemitischen Kampagne der späten Stalinzeit wurde sein Name aus den sowjetischen Annalen der Schlacht getilgt.
    Heute existiert auch die Bronzetafel nicht mehr. Im Keller des Kaufhausgebäudes richtete ein Lokalhistoriker in den neunziger Jahren ein bescheidenes Museum zur Schlacht von Stalingrad ein. In den letzten Jahren stand das Museum in einem Rechtsstreit mit den Besitzern des Kaufhauses, die Anspruch auf die Kelleretage erhoben und dort ein Restaurant eröffnen wollten. Durch einen richterlichen Beschluss vom Mai 2012 ist der Keller nun zu einem Teil des Staatlichen Museumskomplexes zur Schlacht von Stalingrad erklärt worden. Zum 70. Jahrestag der Schlacht im Herbst 2012 ist die Eröffnung der neuen Gedenkstätte geplant. [501]  

Neun Erzählungen vom Krieg

Eine Seite aus den Stalingrader Protokollen

Krankenschwester Vera Gurowa
    Mit über 4000 Soldaten bezifferte General Rodimzew die Ausfälle in seiner Division in den ersten Wochen nach ihrer Landung in Stalingrad. In der Erzählung der Krankenschwester Vera Gurowa wird diese Ziffer konkret. Die 22-jährige Gurowa hatte in der Armee schon vieles durchgemacht – den Winterkrieg gegen Finnland und die schweren Rückzugskämpfe gegen die Deutschen im Sommer und Herbst 1941. Nirgendwo, sagt sie aber, habe sie so viele Verletzte gesehen wie in Stalingrad. (Von den Toten redet sie nicht.) Täglich musste ihr Sanitätsbataillon aufs Neue einen Strom von 600–700 Verwundeten am vorgeschobenen Verbandsplatz versorgen. Die Wolga machte eine rasche Verlegung der Soldaten ins Feldlazarett auf der anderen Flussseite unmöglich. Die Evakuierungen konnten nur nachts, in geringem Umfang und unter steter Gefahr erfolgen. Daher wurden viele verletzte Soldaten an Ort und Stelle notdürftig versorgt und untergebracht. Die OP-Stelle der 13. Gardedivision, schreibt General Tschuikow in seinen Memoiren, arbeitete in einem Kanalisationsrohr im Steilufer der Wolga. Die dramatische Lage der Verwundeten in den Septembertagen bestätigte ein Geheimbericht des NKWD: »Am Kampftag des 15. September verlor die 13. Gardeschützendivision 400 Mann, welche verletzt oder gefallen waren, und verbrauchte die ganze Munition für die automatische Schusswaffe. Sehr schlecht ist die Situation des Verwundetentransports auf das linke Wolgaufer. Der Kommandeur der 13. Gardeschützendivision hat keine Mittel für den Transport der Verwundeten. Die leichtverletzten Soldaten bauen sich Flöße und laden auf diese die Schwerverletzten. Um auf das linke Ufer überzusetzen, lassen sie sich von der Abwärtsströmung der Wolga treiben. Auf der Suche nach Hilfe gehen sie in den Dörfern auseinander.« [596]  
    Fast eine Million sowjetischer Frauen, weit mehr als in jeder anderen kriegführenden Nation, dienten während des Zweiten Weltkriegs in der Roten Armee, die Hälfte von ihnen als reguläre Soldatinnen und die Übrigen als Krankenschwestern, Fernmelderinnen, Wäscherinnen oder Flakhelferinnen. Auch eine Krankenschwester wie Gurowa musste damit rechnen, als Sanitäterin an die vorderste Linie geschickt zu werden und unter feindlichem Feuer Verletzte zu bergen. Sie machte klaglos mit, ebenso wie die anderen Sanitäterinnen, mit denen die Moskauer Historiker sprachen.
    Gurowa schien die vom Sowjetregime betriebene Aufhebung der strikten Trennung der Geschlechterrollen im Krieg zu begrüßen: »Meiner Meinung nach ist eine Frau in der Armee genauso nützlich wie ein Mann«, erklärte sie selbstbewusst. Gerade aufgrund der von ihr erbrachten Leistungen beanspruchte Gurowa auch einen Platz in der Partei, obwohl sie keine

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