Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
und der anderen Generäle soll er Hitler diese Frage zweimal vorgelegt haben, doch Hitler gestattete die Verlegung deutscher Truppen hinter den Don nicht. Das war ungefähr Ende Oktober, Anfang November, noch vor der Einkesselung.
Auf die Frage, ob die eingekesselte deutsche Armee ihren Widerstand noch hätte fortsetzen können, antwortete er mir, er sei nach dem Sprengen der Verteidigungsfront Woroponowo-Pestschanka-Staraja Dubowka der Meinung gewesen, ein weiterer Kampf sei sinnlos, da nirgendwo mehr Frachtflugzeuge landen und die eingekesselte Gruppierung mit Munition und Lebensmitteln versorgen konnten. »Doch ich hatte ja«, sagte er, »den Befehl erhalten, bis zum Letzten zu kämpfen, und so führte ich als Soldat den Kampf fort. Nur die komplette Umzingelung des Stabs zwang uns dazu, die Waffen niederzulegen.«
Warum er nicht Selbstmord begangen hat – diese Frage habe ich ihm nicht gestellt. [498]
Die deutschen Zeitungen schrieben, dass Paulus in jeder Tasche einen Revolver und Gift habe. Bei seiner Durchsuchung wurde ein Revolver entfernt, Gift wurde nicht gefunden. Paulus wurde unversehrt gefangen genommen, er war nicht verwundet und wurde während der Gefangennahme vonseiten unserer Kommandeure keinerlei Repressalien ausgesetzt. Er kam in seinem Wagen und mit allen seinen Burschen im Stab der 64. Armee an.
Hauptmann Golowtschiner (Chef der 7. Abteilung der Politabteilung der 64. Armee): Paulus ist ein hochgewachsener, etwas gebeugter alter Mann von über 60, seine Augen sind grau, er hielt sich mit der Würde, die einem Feldmarschall ansteht, war unrasiert. Er war bedrückt, sah kränklich aus. Nach den Worten seines zweiten Adjutanten war er in den letzten Tagen ernsthaft krank gewesen.
Am 29. Januar zog Paulus sich vom Kommando zurück. Am 31. wurde erklärt, der Herr Feldmarschall habe das Kommando niedergelegt und General Roske damit beauftragt, die südliche Gruppierung der Stalingrader Truppen zu befehligen. Paulus ließ sich durch seinen Stabschef zur Privatperson erklären, und er übertrug alle seine Vollmachten auf Generalmajor Roske. […] Ich habe mich unterwegs und dann hier (in Beketowka) mit Offizieren aus dem Stab von Paulus unterhalten. Alle warfen Paulus Weichheit und Charakterschwäche vor, weil sie, wie sie sagten, noch bedeutend länger hätten Widerstand leisten können; sie hätten noch genügend Kräfte gehabt, aber man hätte mehr Härte zeigen müssen. Außerdem waren sie der Ansicht, Paulus’ Stab habe schon beim Marsch auf Stalingrad, noch weit entfernt von der Stadt, eine Reihe grober taktischer Fehler gemacht. Hätte es diese groben Fehler nicht gegeben, hätten sie effektiver Widerstand leisten können, erklärten sie.
Gardeoberst Kudrjawzew: Die Deutschen glaubten nicht an den Kessel, und die Offiziere sagten ihnen nichts davon. Später, als es nichts mehr zu essen gab, begriffen sie. Man redete davon, man sei wohl eingekreist. Vom Ultimatum wussten nicht einmal die Offiziere etwas, und die Soldaten wussten überhaupt nichts.
Hauptmann Golowtschiner (Chef der 7. Abteilung der Politabteilung der 64. Armee): Bis zum letzten Moment hielt den deutschen Offizier der Glaube an den Sieg der deutschen Armee, der Glaube an die eigene Kraft aufrecht. Der Offizier wiederum hielt seine Soldaten aufrecht. Der Soldat ordnete sich ihm widerspruchslos unter. […] Das Wort eines Offiziers, der Befehl eines Offiziers ist für den deutschen Soldaten Gesetz. Die Disziplin ist bei denen sehr stark ausgeprägt.
Oberleutnant Fjodorow: Danach erging der Befehl, keinen Schuss mehr abzugeben. Alle Fritzen gingen in Gefangenschaft. Am 1. Februar 1943 durfte von neun bis elf Uhr nicht geschossen werden. Die Fritzen gingen in der Zeit zu Hunderten in Gefangenschaft. Man schrie: Hitler kaputt . Brachte Gefangene mit erfrorenen Füßen, mit verbundenen Köpfen zu uns. Die meisten waren in Decken gehüllt, und so gingen die Gefangenen daher. Vom 1. Februar an feuerte ich nicht mehr mit dem Geschütz, ich erledigte mit der Pistole Verwundete in Kellern.
Major Soldatow: Tschechen, Griechen, Tschechoslowaken, ganz zu schweigen von Rumänen – die ergaben sich leicht, aber diese verfluchten Deutschen verhielten sich arrogant. Man konnte oft von ihnen hören, dass unsere Erfolge vor Stalingrad nur Zufall gewesen seien. Selbst als sie in Gefangenschaft waren, sagten sie solche Sachen. Einen hat unser Kommandant am Ärmel gepackt, rausgezerrt und erschossen. Unser Kommandant [499]
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