Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
sinken lassen. Ich arbeite seit fünf Jahren als Operationsschwester, sehe endlos dieses Blut. In dieser Masse habe ich es natürlich noch nicht gesehen. Ich weiß, dass ich alles vergessen muss, es ist meine Arbeit. Natürlich heißt das nicht, dass ich mit dem Verwundeten kein Mitgefühl habe und ihn anschaue wie ein Stück Holz. Ich habe Schweres durchgemacht, muss aber verhindern, dass sich das auf die Hilfe für die Verwundeten auswirkt. Wenn ich während einer schwierigen Operation an etwas anderes denke und nicht bei der Sache bin, dann geht mir nichts von der Hand.
Ich bin nicht im Komsomol, bewerbe mich aber jetzt darum, Mitglied der Partei zu werden.
Meiner Meinung nach ist eine Frau in der Armee genauso nützlich wie ein Mann, natürlich mit Ausnahmen, aber diese Ausnahmen gibt es auch in Friedenszeiten. Manchmal kränkt es mich sehr, wenn eine Frau mit Verachtung behandelt wird: Was, eine Frau, noch dazu in der Armee? Ich weiß, dass ich zur Armee gegangen bin, um meine Pflicht zu erfüllen. Diejenigen, die sich schlecht aufführen, sind schuld daran, dass so eine Meinung entsteht.
Quelle: NA IRI RAN, f. 2, razd. III, op. 5, d. 6, l. 9–10 ob.
Aus dem Russischen von Annelore Nitschke
Leutnant aus Odessa: Alexander Awerbuch
Die beiden folgenden Gespräche mit Oberleutnant Awerbuch und Oberstleutnant Gerassimow schildern die Abwehrkämpfe eines Regiments der 35. Garde-Schützendivision gegen die vom Don auf Stalingrad vorrückenden deutschen Panzertruppen im August und September 1942. Die Division war Anfang August 1942 aus den Beständen des 8. Luftlandekorps bei Moskau aufgestellt und sofort an die Stalingrader Front geschickt worden, wo sie sich in die 62. Armee eingliedern sollte. Die Fahrt nach Stalingrad dauerte fünf Tage, unterbrochen durch wiederholte feindliche Fliegerangriffe. Fast jeder Bahnhof auf der Strecke war zerbombt, und in den ausgebrannten Eisenbahnwaggons entlang der Trasse erblickte Gerassimow die Leichen von sowjetischen Soldaten. Viele seiner Soldaten erlebten zum ersten Mal einen Luftangriff und mussten, wie er es ausdrückte, »bearbeitet werden«. Gerassimow beschreibt in dem hier nur auszugsweise veröffentlichten Interview auch das Chaos der darauffolgenden Wochen, das auf die schlechte Abstimmung zwischen der Armeeführung und den Kommandeuren im Feld sowie auf die mangelnde Qualität der sowjetischen Feindaufklärung schließen lässt. Sein Regiment wurde zunächst an das linke Donufer verlegt. Nach einem eintägigen Gewaltmarsch von 40 Kilometern in glühender Hitze, auf dem die Soldaten ihre Ausrüstung und Waffen, inklusive der 45-mm-Regimentskanone, eigenhändig schleppen mussten, wurde der Zielort Peskowatka erreicht. Dort sollte das Regiment einen Brückenkopf auf der anderen Flussseite errichten. Zu dem Zeitpunkt hatten die Deutschen am Ufer bereits massierte Truppenverbände zusammengezogen. Es erfolgte ein neuer Befehl: 20 Kilometer weiter nordöstlich den Vormarsch der Deutschen bei Kotluban stoppen. Wenig später ein weiterer Befehl – die inzwischen durchgebrochenen Deutschen beim Dorf Bolschaja Rossoschka 30 Kilometer westlich von Stalingrad aufhalten. [603] In dem Durcheinander riss die Verbindung zu den Nachschubeinheiten ab, gingen Essensrationen und Munitionsvorräte zur Neige.
Ein Verband der Roten Armee bei Stalingrad, August 1942
In diesem Zustand wurde das Regiment in den Kampf um eine Anhöhe geworfen. Divisionskommandeur Glaskow nahm den Befehl vom Frontkommando entgegen und richtete seinen Bataillonskommandeuren per Telefon aus, er werde sie persönlich erschießen, wenn sie die Anhöhe nicht nehmen würden. Gleichzeitig traf ein Telegramm der Armeeführung ein, das die Soldaten und Kommandeure der Division für ihre »Tapferkeit« und ihren »Heldenmut« pries und sie zur Vernichtung des »faschistischen Packs« anhielt. Gerassimow ließ das Telegramm unmittelbar vor Beginn des Kampfeinsatzes unter seinen Soldaten verlesen. Die Anhöhe wurde unter hohen Verlusten genommen. Gerassimows Regiment verlor 350 Mann. Wenige Tage später musste das Regiment die Höhe wieder verlassen; die deutsche 24. Panzerdivision war rechts und links vorbeigestoßen und drohte, sie zu umzingeln. Von diesen Rückzugskämpfen in den südwestlichen Vororten von Stalingrad gegen Verbände der deutschen 14. und 24. Panzerdivision handelt Oberleutnant Awerbuchs Erzählung. [604]
Awerbuch holt in seiner Erzählung weit aus. Der 22-jährige Leutnant
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