Die standhafte Witwe
Johanna eine ganze Weile an, bevor sie antwortete. »Ich nehme an, ich werde es wohl müssen«, flüsterte sie. Dann versuchte sie, das Thema zu wechseln. »Ihr wart sehr großherzig, mich aufzunehmen, Lady Johanna. Ich habe Euch noch gar nicht richtig gedankt. Dabei bin ich so froh darüber.«
»Ihr braucht mir nicht zu danken«, protestierte Johanna. »Warum klingt Ihr so traurig, wenn Ihr sagt, daß Ihr wohl wieder gesund werden müßt! «
Die Frau gab ihr keine Antwort. Statt dessen verknotete sie nervös die Enden des Lakens miteinander.
»Wird mein Vater herkommen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Johanna und legte ihre Hand auf die Clares. »Würdet Ihr Euch denn freuen, wenn er Euch besuchen käme?«
»Ja, natürlich«, antwortete Clare hastig.
Sie hörte sich nicht sehr ehrlich an. Johanna war entschlossen, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten, aber ganz sicher würde sie von der geschundenen Frau nichts erzwingen. Sie mußte es mit Geduld und Verständnis versuchen.
Zuerst mußte die Frau beruhigt werden. »Ihr braucht keine Angst zu haben. Hier seid Ihr sicher, niemand wird Euch etwas antun. Wenn Euer Baby auf der Welt ist und Ihr wieder bei Kräften seid, werden mein Mann und ich Euch helfen, eine Entscheidung zu treffen. Ihr könnt so lange bei uns bleiben, wie Ihr möchtet. Ich gebe Euch mein Wort darauf.«
Clares Augen standen voller Tränen. »Ich bin so müde. Bitte, laßt mich etwas schlafen.«
Johanna stand sofort auf. Wie eine besorgte Mutter steckte sie die Laken um den Körper der Frau fest und legte Clare die Hand auf die Stirn, um die Temperatur zu prüfen. Dann sah sie nach, ob im Krug noch genug Wasser war. Clare schien fest zu schlafen, als Johanna die Kammer verließ. Hilda übernahm die Wache wieder.
Später am Morgen versuchte Johanna noch einmal, mit Clare zu reden, aber sobald sie anfing, Fragen zu stellen, wurde Clare wieder schrecklich müde und schlief ein.
Megan löste am Nachmittag Hilda ab, so daß die Köchin sich um das Abendessen kümmern konnte. Johanna wollte ursprünglich noch einmal zu ihrer Patientin, wurde aber aufgehalten, als ihr Mann mit seinem Sohn an der Seite in die große Halle trat.
Johanna hatte gerade den letzten Faden von Calums Wunde entfernt und versuchte nun, ihm Anweisungen zu geben, auf die er kaum hörte. Er war wie ein zappeliges Kind, das es nicht erwarten konnte, wieder nach draußen zu kommen.
»Ihr geht erst, wenn Ihr mir versprecht, diese Salbe eine Woche lang jeden Morgen und jeden Abend aufzutragen, Calum.«
»Versprochen«, antwortete der Soldat. Er sprang auf die Füße und eilte durch die große Halle, wobei er den Salbentopf auf dem Tisch zurückließ.
»Ich bin da!«
Alex brüllte die wichtige Ankündigung laut heraus und breitete die Arme in einer so dramatischen Geste aus, daß Gabriel unwillkürlich lächelte. Der Junge hatte bestimmt keinerlei Minderwertigkeitskomplexe. Natürlich hatte ihm Gabriel auch mehrmals während des Rittes zur Burg versichert, wie sehr Johanna sich darauf freute, ihn zu sehen.
Die Reaktion seiner Frau war ebenso nett anzusehen. Sie stieß einen kleinen Freudenschrei aus, raffte ihre Röcke und rannte durch die Halle, um Alex zu begrüßen.
Der kleine Junge warf sich ihr in die Arme, und sie zog ihn fest an sich. Sein Scheitel erreichte gerade mal ihre Taille. Er war so ein liebreizender Junge, und sie war so glücklich, daß er zu Hause war, daß ihre Augen sich mit Tränen füllten.
Gabriel ließ die beiden allein und ging hinauf, um noch einmal mit Clare MacKay zu reden. Er war entschlossen, endlich den Namen des Soldaten herauszufinden, der die Frau entehrt hatte. Zudem wollte er ihr sagen, daß ihr Vater sie morgen abholen würde, natürlich nur gesetzt den Fall, sie war kräftig genug, um zu reiten.
Gabriel kam wenige Minuten später wieder herunter. Clare war noch zu krank, um seine Fragen zu beantworten. Ja, sie war noch so erschöpft, daß sie in tiefen Schlaf gefallen war, kaum daß er die Gründe für sein Kommen erklärt hatte.
Johanna und Alex warteten am Fuß der Treppe auf ihn.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Johanna, als sie seine düstere Miene sah.
»Jedesmal, wenn ich mit der MacKay-Frau reden will, schläft sie ein. Wie lange, glaubst du, wird es noch dauern, bis sie mir wenigstens meine Fragen beantworten kann?«
»Ich weiß nicht, Gabriel«, gab sie zurück. »Du weißt, wie sie ausgesehen hat, als sie herkam. Es braucht Zeit, sich von so etwas zu erholen. Hab’ Geduld
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