Die standhafte Witwe
zu.
»Das war aber nicht sehr anständig, Frau«, tadelte ihr Mann.
Sie schüttelte den Kopf. »Vor allem ist es nicht sehr anständig, mir diese wichtige Nachricht vorzuenthalten.«
»Ich versuche noch, zu begreifen«, warf der Priester ein. »Wollt Ihr sagen, daß Baron Raulf lebt?«
»Das wollen wir, ja«, antwortete Nicholas.
»Grundgütiger«, murmelte der Priester. »Wo ist er denn die ganze Zeit gewesen?«
»In einem Kerker jenseits des Ozeans«, antwortete Nicholas. »Er ist um die halbe Welt geschickt worden, um als König Johns Vertreter ein Handelsabkommen zu treffen. Raulf verließ England, bevor John sich mit der Kirche überwarf. Der König gibt nun keinen Deut mehr darauf, dem Papst zu schmeicheln.«
Nach diesen Worten wandte er sich an seine Schwester. »Wieviel hast du gehört?«
»Alles«, log sie.
»Verflucht.«
Sie ignorierte die Blasphemie. »Bitte erkläre dem Vater, in welchem Dilemma ich nun stecke.«
Nicholas nahm seinen Kelch und leerte ihn in einem Zug. Johanna empfand plötzlich das Bedürfnis, näher bei Gabriel zu sein, stand auf und ging zu ihm. Er legte den Arm um ihre Taille und zog sie zu sich, und sie schlang ihren Arm um seinen Hals und lehnte sich an ihn.
»Baron Raulf stürzte von einer Klippe, und alle hielten ihn für tot.«
»Ich war in England, als die Nachricht kam«, rief der Priester Nicholas in Erinnerung.
»Ja. Nun, er starb dann doch nicht«, murmelte dieser. »Er ist wieder zurück und wütend wie eine Hornisse, weil seine Frau und sein Land fort sind. Der König möchte diesen Schuft besänftigen, obwohl Gott allein wissen mag, wieso. John hat Johanna befohlen, zu Raulf zurückzukehren, aber um MacBain nicht zu verärgern und Krieg zu vermeiden, will er ihm das Land lassen.«
Vater MacKechnie murmelte etwas Unverständliches. »Es interessiert nicht, was Euer König will, Sohn. Johannas Ehe wurde annulliert, und das ist Tatsache. Der Papst hat das Dekret eigenhändig unterzeichnet. Das habt Ihr mir doch gesagt, nicht wahr, Kind?«
Johanna nickte. »Ja«, sagte sie. »Dabei dachte ich nicht einmal daran, daß ich eine Annullierung wirklich brauchen würde. Ich wollte nur den König davon abhalten, mich schnell wieder zu verheiraten.«
»John hat beschlossen, sich selbst zum Papst zu ernennen. Da er mit der Kirche im Streit liegt, sind so gut wie alle Verbindungen zum Heiligen Vater unterbrochen. Es sind schon Priester wegen des Interdikts ins Tiefland geflüchtet. Johns Exkommunizierung ist sicher.«
»Euer König glaubt also, er kann Ehemänner mit einem Fingerschnippen austauschen?« fragte Gabriel.
»Allerdings«, erwiderte Nicholas. »Er läßt sich nicht zur Vernunft bringen. Ich wollte mit ihm reden, aber er ist wild entschlossen, Raulf friedlich zu stimmen. Ich wünschte, ich wüßte, warum.«
»Und was geschieht, wenn unser Clansherr sich weigert, Johanna aufzugeben?« wollte der Priester wissen.
»Dann wird John Baron Raulf einige Truppen überlassen.«
»Zu welchem Zweck?«
»Krieg«, sagten Gabriel und Nicholas einstimmig.
»Das können wir nicht zulassen«, flüsterte Johanna. »Wir haben doch gerade erst wieder alles aufgebaut, Gabriel. Ich erlaube nicht, daß es wieder zerstört wird.«
»Ich glaube nicht, daß du irgendwas daran ändern kannst, Johanna«, sagte ihr Bruder.
»Hast du Raulf gesehen?« fragte Johanna. »Wenn ich ihn gesehen hätte, hätte ich ihn für das umgebracht, was er dir angetan hat, Johanna. Nein, leider nicht.«
»Du kannst ihn nicht umbringen. Dann richtet sich Johns Zorn gegen dich.«
»Hört auf sie, Sohn«, riet der Priester. Er seufzte müde. »Da haben wir aber wirklich ein Problem.«
»Wieviel Zeit hat Gabriel, bevor er seine Entscheidung bekanntgeben muß?«
»Johanna, du glaubst doch nicht ernsthaft, daß ich mit dem Gedanken spiele, dich aufzugeben«, murmelte ihr Mann.
»Zwei Boten und vier Soldaten als Eskorte werden morgen oder übermorgen hier eintreffen, um Gabriel den Befehl des Königs zu überbringen.«
»Und wo ist Raulf?«
»Ich habe dem König das Versprechen abgerungen, Raulf am Hof festzuhalten, bis diese Sache erledigt ist.«
Johanna sank gegen ihren Mann, und Gabriel schob augenblicklich seinen Stuhl zurück, damit er sie auf den Schoß ziehen konnte.
»Dann haben wir nicht viel Zeit, uns einen Plan auszudenken«, stellte der Priester fest.
»O doch«, widersprach Gabriel. »Die Boten werden nach England zurückkehren und melden, daß wir uns weigern, dem Befehl zu
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