Die standhafte Witwe
Ausrede einfiel.
»Nein, ist es nicht.«
»Nicht?«
»Du hast Angst vor mir.«
Er wartete darauf, daß sie ihn wieder anlog. Aber sie überraschte ihn mit Ehrlichkeit. »Ja«, sagte sie. »Ich habe Angst vor Euch. Und ich habe auch Angst vor Eurem Hund.«
»Deine Antwort gefällt mir.«
Endlich ließ er sie los. Sie war so überrascht über seine Bemerkung, daß sie ihrerseits vergaß, seine Hand loszulassen.
»Es gefällt Euch, daß ich Angst vor Euch habe?«
Er lächelte. »Ich wußte bereits, daß du Angst vor mir hast, Johanna. Es gefällt mir, daß du es zugibst. Du hättest auch lügen können.«
»Ihr hättet gewußt, daß ich lüge.«
»Ja.«
Das klang entsetzlich arrogant, aber sie störte sich nicht weiter daran. Bei einem Mann, der so groß war und so düster wirkte, hatte sie Arroganz erwartet. Als sie bemerkte, daß sie ihn immer noch an der Hand hielt, ließ sie sofort los. Dann wandte sie sich um. Zu ihrer Rechten befand sich eine breite Treppe mit einem reichgeschnitzten Holzgeländer. Ein Flur führte hinter die Treppe, links vom Eingang lag die große Halle. Sie war vollkommen zerstört. Johanna stand am Kopf der Treppe und starrte auf die Verwüstung. Die Wände waren von Feuer geschwärzt und das Dach, oder besser das wenige, was davon noch vorhanden war, baumelte in einem Stück an der Mauer herab. Der Geruch abgestandenen Qualms hing immer noch in der Luft.
Johanna stieg die Treppe hinab und durchquerte den Raum. Der Anblick der Ruinen entmutigte sie dermaßen, daß sie am liebsten geweint hätte.
MacBain beobachtete die Veränderung in ihrer Miene, als sie sich umblickte.
»Die Leute meines Mannes haben dies getan, nicht wahr?«
»Ja.«
Sie wandte sich um und sah ihn an. Der Kummer in ihren Augen gefiel ihm wirklich. Sie war eine Frau mit Gewissen.
»Hier ist schreckliches Unrecht geschehen.«
»Das ist wahr«, stimmte er zu. »Aber schließlich bist du nicht dafür verantwortlich.«
»Ich hätte meinen Mann anflehen können …«
»Ich bezweifle, daß er dich angehört hätte«, unterbrach MacBain sie. »Sag mir eines, Johanna: Wußte er, daß sein Vasall diese Verwüstung anrichtete, oder hatte er keine Ahnung davon?«
»Er wußte, wozu Marshall fähig ist«, gab sie zurück.
MacBain nickte. Er verschränkte die Hände hinterm Rücken und betrachtete sie weiter. »Du hast versucht, das Unrecht auszugleichen«, bemerkte er. »Du hast deinen Bruder hergeschickt.«
»Der Vasall meines Mannes war zu einem Halbgott geworden. Er wollte die Nachricht, daß Raulf tot ist, nicht zur Kenntnis nehmen, und er wurde nicht länger hier gebraucht.«
»Er wurde niemals hier gebraucht.« MacBains Stimme nahm einen harten Klang an.
Sie nickte zustimmend. »Nein, er wurde niemals hier gebraucht.«
MacBain stieß einen Seufzer aus. »Marshall hatte Macht erlangt. Nur wenige Männer können dies wieder aufgeben.«
»Ihr denn?«
Er war überrascht von ihrer Frage. Er setzte an, um sie zu bejahen, er könnte es gewiß, doch er war neu in der Stellung als Clansherr, und wenn er ehrlich war, konnte er nicht mit Sicherheit sagen, daß er wieder einen Schritt zurücktreten könnte.
»Ich werde noch geprüft«, gab er zu. »Ich hoffe, daß ich tun kann, was immer das Wohl des Clans von mir verlangt, aber ich kann nichts sicher behaupten, bevor ich nicht einer solchen Herausforderung begegne.«
Seine Ehrlichkeit war beeindruckend, und sie lächelte. »Nicholas war wütend auf Euch, weil Marshall entwischt war, und Ihr ihm nicht erlaubt habt, ihn zu verfolgen. Er erzählte, Ihr hättet Euch heftig gestritten, bis Ihr ihn mit einem Schlag in einen tiefen Schlaf schicktet. Als er seine Augen wieder öffnete, lag Marshall zu seinen Füßen.«
MacBain grinste. Nicholas hatte offensichtlich die blutige Geschichte geschönt.
»Du wirst mich also heiraten, Johanna.«
Seine Stimme klang eindringlich. Er lächelte nicht mehr. Johanna wappnete sich gegen seinen Zorn, dann schüttelte sie langsam den Kopf.
»Dann erklär mir, warum du zögerst«, forderte er sie auf.
Sie schüttelte wieder den Kopf. MacBain war es nicht gewohnt, daß man ihm widersprach, doch er versuchte, seine Ungeduld nicht zu zeigen. Er wußte, daß er nicht besonders geschickt mit Frauen umgehen konnte. Ganz bestimmt hatte er keine Ahnung, wie man dem schönen Geschlecht den Hof machte, und vermutlich würde er sich lächerlich machen.
Warum in Gottes Namen hatte sie überhaupt die Wahl? Nicholas hätte ihr einfach mitteilen
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