Die standhafte Witwe
Zeit, zu gehorchen.
Seine Stimme war tief und rauh, als er wieder sprach. »Johanna?«
»Ja, M’lord?«
»Ich beiße nicht.«
KAPITEL 4
Sie wurden am folgenden Nachmittag getraut. MacBain hatte eingewilligt, so lange zu warten, so daß Vater MacKechnie die Zeremonie vorbereiten konnte.
Das allerdings war auch der einzige Punkt, bei dem er zum Nachgeben gewillt war. Johanna wollte zum Lager zurückkehren und die Nacht in ihrem eigenen Zelt in der Nähe ihres Bruders, des Priesters und ihrem Gefolge verbringen. Clansherr MacBain wollte davon nichts hören. Er wies sie an, in einer der neuerrichteten Hütten, die den Hügel säumten, zu übernachten. Die Hütte bestand aus einem Raum mit einer gemauerten Feuerstelle und einem einzigen Fenster.
Bis zur Zeremonie sah Johanna weder den Clansherrn noch ihren Bruder, der schließlich kam, um sie abzuholen. MacBain hatte zwei Wachen vor ihrer Tür postiert. Sie traute sich nicht zu fragen, ob sie dort standen, um Eindringlinge fernzuhalten, oder um sie daran zu hindern, zu verschwinden.
Viel schlafen konnte sie nicht. Ihre Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Was, wenn sich herausstellte, daß MacBain wie Raulf war? Lieber Gott, würde sie so etwas noch einmal überleben? Die Möglichkeit, daß sie vielleicht wieder ein Ungeheuer heiratete, ließ sie Tränen des Selbstmitleids vergießen. Augenblicklich schämte sie sich. War sie denn wirklich so ein Feigling? Hatte Raulf recht gehabt, sie lächerlich zu machen?
Nein. Nein, sie war eine starke Frau! Sie konnte mit allem umgehen, was sich ihr in den Weg stellte. Sie würde sich nicht zugestehen, sich in Angst zu ergehen, oder sich selbst in Gedanken derart herunterzuputzen. Sie war etwas wert, verdammt … oder nicht?
Johanna hatte geglaubt, daß ihr Selbstbewußtsein nach Raulfs Tod zurückgekehrt sei. Zum ersten Mal seit über drei Jahren konnte sie wieder angstfrei leben. Ihre Tage waren plötzlich wieder erfüllt mit segensreichem Frieden. Auch nachdem König John sie an seinen Hof gezwungen hatte, konnte sie allein in ihrem Quartier bleiben. Niemand hatte sie belästigt. Direkt vor ihrer Tür hatte es einen Garten gegeben, in dem sie die meiste Zeit verbracht hatte.
Doch die friedliche Periode war nun vorbei, und wieder wurde sie in eine Ehe gedrängt. Sie mußte den Clansherrn zwangsläufig enttäuschen. Und was würde er dann unternehmen? Würde er auch versuchen, sie als wertlos und dumm darzustellen? Bei Gott, das würde sie nicht zulassen! Raulfs Angriffe waren so gut getarnt und sie so jung und kindlich gewesen, daß sie nicht gemerkt hatte, was genau er tat, bis es fast zu spät gewesen war. Es war eine langwierige und hinterhältige Attacke auf ihre gesamte Persönlichkeit gewesen, die immer weiter und tiefer ging, bis sie glaubte, er hätte ihr jegliche Energie, jegliche Kraft ausgesaugt.
Schließlich hatte sie versucht, sich zu verteidigen. Und so hatten die Prügel angefangen.
Johanna zwang sich, die Erinnerungen abzuschirmen. Um ein Wunder betend, schlief sie schließlich ein.
Nicholas kam gegen Mittag zu ihr. Er warf einen Blick auf ihr bleiches Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Hast du so wenig Vertrauen in das Urteil deines Bruders? Ich habe dir schon gesagt, daß MacBain ein ehrbarer Mann ist«, erinnerte er sie. »Du hast keinen Grund, dich vor ihm zu fürchten.«
Sie legte die Hand auf den Arm ihres Bruders und ließ sich von ihm führen. »Ich habe Vertrauen in dein Urteil«, flüsterte sie.
Ihrer Stimme fehlte es an Überzeugung, aber er fühlte sich nicht beleidigt. Er konnte ihre Angst verstehen. Die Erinnerung an ihr zerschlagenes Gesicht, als er einmal zufällig vorbeikam und sie besuchen wollte, wodurch Raulf keine Zeit mehr gehabt hatte, sie vor ihm zu verstecken, erfüllte ihn auch jetzt noch mit heilloser Wut.
»Bitte sieh nicht so finster drein, Nicholas. Ich werde meine Angst schon bezähmen. Alles wird gut werden.«
Nicholas lächelte. Tatsächlich versuchte seine Schwester gerade, ihn zu trösten.
»Aye, diese Verbindung wird gut werden«, sagte er. »Weißt du, wenn du dich nur einmal umsehen würdest, dann könntest du einen Blick auf den Charakter deines zukünftigen Ehemannes erhaschen. Wo hast du letzte Nacht geschlafen?«
»Das weißt du sehr gut.«
»In einer brandneuen Hütte, richtig?«
Er ließ ihr keine Zeit zu antworten. »Von hier aus kann ich noch drei andere sehen, alle ganz neu errichtet. Das Holz ist noch nicht verwittert.«
»Was willst du
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