Die standhafte Witwe
Menschen hier. Ich kann doch nicht zulassen, daß sie meinetwegen sterben.«
»Lieber Gott, was soll ich nur tun?«
»Bitte hilf mir.«
Clare gab auf. Sie nickte kurz. »Hast du denn keine Angst, Johanna?«
»O doch«, gab sie zu. »Aber sie beherrscht mich nicht. Tief im Herzen weiß ich, wie vernünftig mein Plan ist. Gabriel wird mich finden.«
Tränen strömten über Clares Wangen, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich wünschte, ich hätte jemanden wie Gabriel, den ich lieben und dem ich vertrauen könnte.«
»O Clare, den hast du. Nicholas ist genauso gut und sanft wie mein Mann.«
Das Lächeln ihrer Freundin wurde plötzlich verschmitzt. »Lieber Himmel, ich hab’ ganz vergessen, daß ich verheiratet bin. Komm jetzt, wir müssen dich hier rausbringen, bevor ich auch noch vergesse, daß ich Mut habe.«
Die beiden Frauen machten auf dem Absatz kehrt und rannten auf die Ställe zu. Zwanzig Minuten später und nach vielen Täuschungsmanövern, ritt Johanna den steilen Hügel hinunter.
Sie begab sich freiwillig in die Hölle zurück. Doch als sie Raulf auf sich zukommen sah, setzte ihr Herz nicht aus, und ihr Magen zog sich auch nicht allzu heftig zusammen.
Johanna war nicht mehr voller Entsetzen, sie war entschlossen. Sie hatte einen guten Plan.
Und sie hatte Gabriel.
KAPITEL 21
Sie brachten sie zur Gillevrey-Burg. Raulf und seine Armee hatten die Grenze des Clansgebiets überquert und waren sofort angegriffen worden. Die Highlander waren mutige Kämpfer, aber Clansherr MacKays Einschätzung bewies sich als richtig. Sie waren eine schlecht trainierte Truppe aus wenigen Männern, und die Engländer brauchten nur einen Tag, um das Land und die Burg zu erobern.
Clansherr Gillevrey und dreißig seiner Männer wurden in den Kellergewölben unter der großen Halle eingesperrt. Die anderen Clansleute wurden in den Soldatenquartieren außerhalb festgehalten.
Johannas Gefangennahme war sehr zügig vonstatten gegangen. Sie ritt den Hügel hinunter und geriet direkt in die Klauen des Feindes.
Obwohl sie nur knapp ein oder zwei Schritte von Raulf entfernt war, sprach sie nicht mit ihm. Sie saß einfach nur mit gefalteten Händen auf ihrem Pferd und wartete ab, was geschehen würde.
Raulf trug seine komplette Ritterrüstung, doch sein Kopf war nur mit dem altmodischen, offenen Helm geschützt. Er zog diesen dem modernen, vollständig geschlossenen Helm vor. Einmal hatte er ihr gesagt, sein Gesichtsfeld würde mit dem neuen zu sehr eingeschränkt, aber sie glaubte eher, daß er ihn aus Eitelkeit trug.
Es fiel ihr schwer, ihn anzusehen. Sein Aussehen hatte sich nicht sehr verändert. Seine Augen waren noch genauso grün, seine Haut noch genauso unvernarbt, und nur wenige neue Falten zogen sich über seine schmalen Wangen. Doch dann nahm er seinen Helm ab, und sie sah, daß es durchaus eine dramatische Veränderung gegeben hatte. Sein früher weizenblondes Haar war nun weiß.
»Wir werden jetzt nach Hause reiten, Johanna, und all das hinter uns lassen.«
»Ja«, stimmte sie ohne zu zögern zu.
Das gefiel ihm. Er trieb sein Pferd an ihre Seite und streckte die Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren.
»Du bist hübscher geworden«, bemerkte er. »Du hast mir gefehlt, meine Liebe.«
Johanna konnte ihn nicht ansehen. Sie war sicher, daß er den Abscheu in ihren Augen sehen konnte. Sie senkte den Kopf und betete, daß er es als Demut hinnehmen würde.
Raulf schien sehr zufrieden. Er setzte den Helm wieder auf, wendete sein Pferd und gab den Befehl, aufzubrechen.
Sie hielten erst an, als sie am späten Nachmittag die Gillevrey-Burg erreicht hatten.
Johanna gab vor, erschöpft zu sein, und Raulf geleitete sie hinein. Der Eingang war schmal, und direkt dahinter zog sich die Treppe nach oben. Die große Halle lag zu ihrer Rechten, ein geräumiger, eckiger Saal, der oberhalb rundum von einer Balustrade gesäumt war. Johanna war entmutigt, denn das bedeutete, daß sie sich kaum aus einer Kammer schleichen konnte, ohne gesehen zu werden.
Sie bekam die dritte Kammer, deren Tür sich ausgerechnet in der Mitte der Balustrade befand. Raulf öffnete ihr die Tür, und sie versuchte, mit gesenktem Kopf an ihm vorbeizuhuschen. Er aber packte ihren Arm und wollte sie küssen. Johanna wandte sich ab.
Da zog er sie grob in die Arme und drückte sie an sich. Seine Finger spielten mit ihrem Haar.
»Haben sie dir dein Haar abgeschnitten?«
Sie gab keine Antwort. »Natürlich«, entschied er. »Du hättest es selbst
Weitere Kostenlose Bücher