Die standhafte Witwe
müssen.«
»Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn, M’lord.«
Er drehte sich um und kam zurück zum Bett. Er sah verärgert aus, allerdings nicht sehr.
Er schüchterte sie nicht ein. Diese Erkenntnis drang ganz plötzlich in ihre Gedanken, und sie mußte unwillkürlich lächeln. Sie begriff selbst nicht, warum sie so empfand, aber es war so. Zudem sprach sie tatsächlich aus, was sie dachte, und es war das erste Mal seit einer langen, langen Zeit, daß sie das konnte. Es war irgendwie … befreiend.
»Ich habe dir schon erklärt, daß ich mich bereits völlig erholt habe«, sagte sie ihm.
Er packte ihr Kinn und hob es hoch, so daß sie ihm direkt in die Augen sehen mußte. Fast hätte er gelächelt, als er sah, wie trotzig sie ihn anblickte.
»Es gibt noch einen Grund, warum du dich ausruhen sollst«, verkündete er.
Sie schob seine Hand sanft fort, weil ihr Nacken langsam steif wurde. »Und was ist das für ein Grund, M’lord?«
»Du bist schwach.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das hast du gestern nacht bereits behauptet, mein Ehemann. Es stimmte gestern nicht, und es stimmt heute nicht.«
»Du bist schwach, Johanna«, wiederholte er, ihren Protest ignorierend. »Du wirst eine gewisse Zeit brauchen, um Kraft zu sammeln. Auch wenn du selbst es nicht tust, ich erkenne deine Grenzen sehr wohl.«
Er ließ ihr keine Zeit, ihm noch einmal zu widersprechen, sondern beugte sich zu ihr hinunter, küßte sie und verließ die Schlafkammer.
Sobald die Tür hinter ihm zugefallen war, stieß sie die Decke weg und sprang aus dem Bett.
Wie konnte ihr Mann sich so schnell eine derartige aus der Luft gegriffene Meinung über sie bilden? Woher wollte er denn wissen, wo ihre Grenzen lagen? Er kannte sie doch kaum. Es war absolut unsinnig, sich bereits jetzt Schlußfolgerungen über ihre Person hinzugeben.
Johanna dachte weiter über ihren Mann nach, während sie sich wusch und anzog. Vater MacKechnie hatte ihr erklärt, was sie unter dem Plaid zu tragen hatte, und so zog sie die Highland-Kleidung, eine weiße, langärmelige Bluse und den Rock an, dann drapierte sie das MacBain-Plaid. Sie legte das Tuch in perfekten Falten um ihre Taille, warf ein Ende über die linke Schulter, damit es ihr Herz bedeckte, und befestigte den Stoff dann mit einem schmalen, braunen Ledergürtel.
Sie überlegte kurz, ob sie ihren Bogen und ihre Pfeile auspacken und Gabriels Befehle einfach ignorieren sollte, besann sich dann aber anders. Offener Widerstand schien ihm gar nicht zu gefallen. Sie hatte bereits festgestellt, daß er ein stolzer Mann war, und sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie etwas erreichen würde, wenn sie dauernd seine Entscheidungen mißachtete.
Aber es führten ja schließlich immer noch andere Wege in die Burg. Das hatte ihre Mutter ihr immer zugeflüstert, wenn sie mit ihrem Mann gestritten hatte. Johannas Mutter war eine weise Frau. Sie war ihrem Mann treu ergeben, doch in den langen Jahren mit ihm hatte sie herausgefunden, wie sie seine Sturköpfigkeit umgehen konnte. Und Johanna hatte von ihr gelernt, denn die gute Frau hatte jede Menge kluger Ratschläge an ihre Tochter weitergegeben. Sie hatte ihr erklärt, daß sie niemals versuchen sollte, ihren Mann zu manipulieren, denn das wäre entehrend, und der Zweck heiligte schließlich nicht immer die Mittel. Dennoch war sie so geschickt, daß sie meistens jedem in ihrem Haushalt ihren Willen aufdrängen konnte.
Ohne daß ihre Mutter es wußte, hatte Johannas Vater seine Tochter oft zur Seite genommen, wenn sie sich mit seiner Frau gezankt hatte. Auch er hatte Ratschläge parat, wie am besten mit den seltsamen Launen seiner Frau umzugehen war. Johanna dachte oft, daß die Vorschläge ihrer Mutter weitaus sinnvoller waren als die ihres Vaters. Doch wie auch immer, sie erfuhr dadurch etwas viel Wichtigeres über ihren Vater: Er liebte seine Frau und würde alles tun, damit sie glücklich war. Er wollte einfach nur nicht, daß seine Frau es wußte. Die beiden spielten ein Spiel, bei dem beide als Sieger hervorgehen konnten. Johanna empfand die Ehe ihrer Eltern stets als etwas merkwürdig, aber ihre Mutter und ihr Vater waren sehr glücklich miteinander, und im Endeffekt war das doch alles, was zählte.
Johanna selbst wollte nur ein ruhiges, friedliches Leben führen. Und um dieses Ziel zu erreichen, würde sie sich einfach bemühen, ihrem Mann aus dem Weg zu gehen. Sie würde sich nicht in seine Angelegenheiten mischen und sich anstrengen, mit ihm
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