Die standhafte Witwe
der Tatsache stand, daß er sie gestern nacht überall gestreichelt hatte. Außerdem errötete sie.
»Nach dieser Nacht glaube ich nicht, daß du in meiner Gegenwart verlegen sein mußt, Johanna.«
Sie nickte. »Ich werde es versuchen«, versprach sie.
Gabriel kam zum Fußende herüber. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sah sie finster an.
Sie lächelte zurück.
»Es ist nicht mehr Morgen«, sagte er. »Es ist Mittag.«
Johanna riß die Augen überrascht auf. »Ich war erschöpft«, brachte sie als Verteidigung hervor, daß sie die Hälfte des Tages verschlafen hatte. »Normalerweise bin ich bei Tagesanbruch auf, M’lord, aber die Reise hierher war sehr anstrengend. Was ist das für ein hämmerndes Geräusch?« fügte sie in dem Versuch hinzu, das Thema von ihrer Faulheit abzulenken.
»Die Männer arbeiten an dem neuen Dach über der großen Halle.«
Er bemerkte die dunklen Ringe unter ihren Augen. Sie war sehr blaß. Es tat ihm leid, daß er sie geweckt hatte. Aber als das Hämmern wieder einsetzte, erkannte er, daß sie in jedem Fall wach geworden wäre. Gabriel fand plötzlich, daß er den Beginn der Arbeiten nicht für heute hätte ansetzen sollen. Seine Braut brauchte Ruhe, nicht Aufregung.
»Wolltest du etwas von mir, M’lord?«
»Ich wollte dir deine Anweisungen geben.«
Sie lächelte wieder, um ihm, wie sie hoffte, deutlich zu machen, daß sie jede Aufgabe übernehmen würde, die er ihr übertragen wollte.
»Heute wirst du das MacBain-Plaid tragen. Morgen nimmst du die Farben der Maclaurin.«
»Werde ich das?«
»Das wirst du.«
»Warum?«
»Weil du jetzt Herrin über beide Clans bist und keine Partei vor den Kopf stoßen darfst. Es wäre eine Beleidigung, wenn du meine Farben zwei Tage hintereinander tragen würdest. Hast du verstanden?«
Er dachte eigentlich, daß er sehr deutlich gewesen war. »Nay«, antwortete sie. »Das verstehe ich nicht. Bist du nicht Clansherr über beide Clans?«
»Das bin ich.«
»Also bist du auch von beiden Clans als Anführer akzeptiert?«
»So ist es.«
Er klang wieder so schrecklich arrogant und sah auch so aus. Seine Gegenwart war … beherrschend. Er gab ihr so distanziert Befehle, und doch war er in der letzten Nacht zärtlich und sanft gewesen. Die Erinnerung an ihr Liebesspiel ließ sie aufseufzen.
»Hast du mich jetzt verstanden?« fragte er, durch ihren plötzlich abwesenden Blick aus dem Konzept gebracht.
Sie schüttelte den Kopf, womit sie versuchte, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. »Nein, ich begreife immer noch nicht«, gab sie zu. »Wenn du ein …«
»Es ist auch nicht deine Aufgabe, zu verstehen«, verkündete er.
Sie verbarg ihre Verzweiflung so gut es ging. Er schien unbedingt eine Zustimmung von ihr zu wollen, aber die würde er nicht bekommen. So starrte sie ihn einfach weiter an und wartete auf die nächste empörende Bemerkung.
»Ich habe noch eine Anweisung für dich«, sagte Gabriel. »Ich will nicht, daß du dich mit irgendeiner Arbeit beschäftigst. Ich will, daß du dich ausruhst.«
Sie war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. »Ausruhen?«
»Ja.«
»Um Himmels willen, warum?«
Er runzelte die Stirn, als sie ihn verständnislos ansah. Für ihn war es nur zu klar, warum sie sich ausruhen sollte. Nun gut, wenn sie dennoch eine Begründung brauchte, dann würde sie eben eine bekommen.
»Du wirst Zeit brauchen, dich zu erholen.«
»Erholen wovon?«
»Von der Reise hierher.«
»Aber ich habe mich schon erholt, M’lord. Ich habe den halben Tag verschlafen. Ich bin absolut ausgeruht.«
Er wandte sich zum Gehen. »Gabriel?« rief sie.
»Ich habe gesagt, du sollst mich nicht so nennen.«
»Gestern nacht hast du es aber von mir verlangt«, brachte sie ihm in Erinnerung.
»Wann?«
Sie wurde augenblicklich rot. »Als wir … als wir uns küßten.«
Nun erinnerte er sich. »Das war etwas anderes«, sagte er bestimmt.
»Was war anders? Das Küssen oder deinen Namen auszusprechen?«
Er gab keine Antwort.
»Gabriel ist ein schöner Name.«
»Ich hab’ keine Lust mehr, darüber zu diskutieren.«
Sie hatte keine Ahnung, was sie von seinem seltsamen Benehmen halten sollte. Dann beschloß sie, das Thema Name für den Augenblick beiseite zu lassen. Er griff bereits nach dem Riegel an der Tür, und sie wollte ihn noch etwas fragen, bevor er ging. »Kann ich heute nachmittag jagen gehen?«
»Ich habe dir doch gerade gesagt, daß du dich ausruhen sollst. Ich will mich nicht wiederholen
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