Die standhafte Witwe
mitten in das Wolfsrudel hineinritten, und sie bezweifelte, daß die Ungeheuer sich davonmachen würden, wenn sie Pferde hören würden. Aye, Ungeheuer war das richtige Wort, und sie sahen wirklich nicht so aus, als würden sie vor irgend etwas die Flucht ergreifen.
Johanna wurde durch eine Bewegung zu ihrer Linken abgelenkt. Ein Wolf war auf den felsigen Eingang zur Höhle geklettert und schien Anstalten machen zu wollen, sie anzuspringen. Johanna wußte nicht, ob er einen solchen Satz machen konnte, aber sie dachte nicht daran, es herauszufinden. Sie ließ den Bogen von ihrer Schulter gleiten, legte einen Pfeil ein, verlagerte ihre Position sehr vorsichtig und zielte.
Sie erwischte den Wolf mitten im Flug. Der Pfeil traf ihn mitten ins Auge und tötete ihn. Das Tier krachte zu Boden und landete unter den anderen Wölfen, die sich augenblicklich über ihren toten Kumpanen hermachten.
In den nächsten zwanzig Minuten erlegte Johanna drei weitere Wölfe. Sie hatte gehört, daß Wölfe kluge Tiere waren. Auf diese dort schien das nicht zuzutreffen. Sie waren sicher, solange sie auf dem Waldboden blieben, denn die dichten Zweige lenkten ihre Pfeile ab, aber einer nach dem anderen kletterte auf den Felsen, um sie anzuspringen. Sie müssen sehr langsam begreifen, dachte Johanna, als der vierte Wolf auf den Felsen kletterte, um dem Schicksal seiner drei Brüder zu folgen.
Ihre Finger schmerzten vom Spannen der Bogensehne. Sie wollte den riesigen Leitwolf in ihr Gesichtsfeld bekommen. Irgendwie war sie sich sicher, daß der es war, der Dumfries angegriffen hatte. Sie wußte nicht, wie sie auf die Idee kam, aber vielleicht war es das getrocknete Blut an seinen Fängen, als er die Zähne in ihre Richtung bleckte. Er kam ihr eher wie ein Dämon, als ein Tier vor. Seine Augen ließen nicht einmal von ihr ab. Der Wolf sah ausgesprochen bösartig aus, und Johanna schauderte vor Angst und Ekel.
»Du bist der, den sie ›Liebling‹ nennen, nicht wahr?«
Sie erwartete natürlich keine Antwort, aber sie fragte sich, ob die verzwickte Situation ihren Geist verwirrt hatte. Schließlich sprach sie gerade mit Dämonen. Johanna seufzte über ihr merkwürdiges Benehmen.
Warum verschwanden die Biester nur nicht? Und wo in Gottes Namen blieben Michael und Lindsay? Sie konnten sie doch nicht vergessen haben? Oder?
Johanna glaubte nicht, daß es noch schlimmer kommen konnte.
Sie irrte sich. Mit dem Regen hatte sie nicht gerechnet. Sie war zu beschäftigt gewesen, um zu bemerken, wie der Himmel sich verdunkelte, und Gott allein wußte, daß sie ganz gewiß keine Zeit gehabt hatte, in den Himmel zu schauen, um die dicken Regenwolken zu entdecken, die sich über ihr zusammenzogen. Was hätte es aber auch ändern sollen? Sie wurde in jedem Fall klatschnaß.
Blitze zuckten durch die Bäume, und eine Sintflut rauschte herab. Die Äste wurden glitschig wie Schmierfett, und Johanna traute sich kaum noch, ihre Haltung zu verändern, aus Angst, sie könnte sofort hinunterrutschen.
Die Ungeheuer warteten immer noch auf sie. Johannas Hände zitterten von der Anstrengung, den Bogen zu spannen. Ihre Finger krampften sich zusammen.
Plötzlich hörte sie ihren Namen. Sie flüsterte ein Dankesgebet an ihren Schöpfer, dann erwiderte sie den Ruf. Seltsam, aber sie glaubte, die Stimme ihres Mannes zu hören, aber das war doch nicht möglich! Er war auf der Jagd.
Das Trommeln der näherkommenden Pferde veranlaßte den Wolf nun doch, zu verschwinden. Johanna war bereit. Sie zielte und schoß. Daneben. Sie hatte seine Mitte anvisiert, doch der Pfeil blieb in seiner Hinterhand stecken. Der Wolf heulte zornig auf und wandte sich wieder zu ihr um. Johanna beeilte sich, ihn von seinen Qualen zu erlösen. Sie nahm einen weiteren Pfeil, legte ihn an und zielte erneut.
Johanna tötete nicht gern. Auch wenn das Tier den Gestalten ähnelte, die der Teufel vermutlich aus seiner Hölle warf, war der Wolf dennoch eine Schöpfung Gottes. Sein Lebenszweck war bedeutender als ihrer, so hatte man es ihr jedenfalls eingebleut, und obwohl sie auch nicht wußte, was für ein Zweck das sein sollte, fühlte sie sich dennoch schuldig.
Die MacBain-Soldaten kamen um die Biegung des Pfades geritten, als Johannas Pfeil durch die Luft sirrte und den Wolf tötete. Das Tier wurde durch die Kraft des Pfeiles zurückgeschleudert und brach dann in einer Mulde zu Füßen der Krieger zusammen.
Johanna sank gegen den Baumstamm und ließ den Bogen los. Sie öffnete und schloß die
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