Die standhafte Witwe
Hände, um die Verkrampfung ihrer Finger zu lösen. Plötzlich wurde ihr übel. Sie atmete tief und langsam ein und blickte dann durch die Zweige auf die Soldaten unter sich.
Sobald sie ein wenig Kraft gesammelt hatte, würde sie den Männern die Hölle heißmachen, daß sie so lange auf sich hatten warten lassen. Nachdem sie dann um Vergebung gebeten hatten, würde sie sie schwören lassen, ihrem Mann nichts von dieser peinlichen Begebenheit zu erzählen. Bei Gott, sie würde den Männern dieses Versprechen schon abringen.
»Ist alles in Ordnung, M’lady?«
Sie konnte das Gesicht des Soldaten nicht sehen, erkannte aber sehr wohl Calums Stimme.
»Ja, Calum«, rief sie. »Mir geht es gut.«
»So hört es sich aber nicht an«, sagte Keith. Dann rief er: »Sie hat unseren ›Liebling‹ getötet.«
Der Maclaurin-Soldat klang verblüfft. Johanna hatte das Gefühl, als müßte sie eine Erklärung abgeben. Sie wollte nicht, daß einer der Männer vielleicht glaubte, sie hätte das aus Vergnügen oder einer Art übler Befriedigung getan.
»Es ist nicht so, wie es aussieht«, rief sie zu ihnen hinunter.
»Ihr habt ihn nicht getötet?«
»Die Pfeile sehen aber wie Ihre aus«, bemerkte Keith.
»Sie wollten mich nicht in Ruhe lassen, da mußte ich sie töten. Bitte sagt es niemanden, am wenigsten Eurem Clansherrn. Er hat zuviel zu tun, um mit so einem unbedeutenden Ereignis belästigt zu werden.«
»Aber M’lady …«
»Calum, fangt nicht an, mit mir zu streiten. Ich bin nicht in der Stimmung, höflich zu sein. Ich hatte einen anstrengenden Morgen. Gebt mir einfach nur Euer Wort, daß Ihr nichts sagt!«
Johannas Rock hatte sich in einem Ast verfangen. Während sie sich bemühte, ihn freizubekommen, wartete sie darauf, daß die Soldaten ihr das Versprechen gaben. Sie würde nicht eher hinunterklettern, bis sie es getan hatten.
Die Männer ließen sich Zeit. »Das ist ja wohl nicht viel verlangt«, murmelte Johanna.
Calum begann plötzlich zu lachen, und Johanna begriff sofort. Gabriel wußte es bereits.
»Komm runter! Sofort!«
Die Wut in der Stimme ihres Mannes hätte sie fast vom Baum gerissen. Johanna zog ein Gesicht. Sie duckte sich in ihre Astgabel in der Hoffnung, sich vor Gabriel verbergen zu können … und vor seinem Zorn. Als sie erkannte, was sie tat, fluchte sie unschicklich und beugte sich vor. Sie schob das Laub zur Seite und sah hinunter. Sofort wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Gabriel saß auf seinem Pferd, hatte die Hände locker auf den Sattelknauf gelegt und schaute zu ihr hinauf. Er wirkte bloß leicht verärgert. Aber sie wußte es besser. Sie hatte seine Stimme gehört!
Johanna ließ den Zweig los und lehnte sich zurück. Ihre Wangen wurden feuerrot vor Verlegenheit. Er war offensichtlich schon dagewesen, als sie den Soldaten ihr Versprechen abringen wollte.
Wahrscheinlich sollte sie nun eine Art Erklärung abgeben, und wenn sie genug Zeit hätte, würde ihr gewiß schon etwas Plausibles einfallen. Johanna beschloß, ihren Baum nicht eher zu verlassen, bis sie eine Idee hatte.
Es kostete Gabriel alle Kraft, seine Wut unter Kontrolle zu halten. Er senkte den Blick zu Boden und zählte erneut die toten Wölfe, nur um sicherzugehen, daß seine Augen ihn nicht täuschten. Dann sah er wieder zu ihr.
Sie hatte sich nicht gerührt. Gott allein wußte, daß sie es nicht konnte. Die Bedrohung durch die Wölfe war noch nicht vorüber.
Dort unten wartete immer noch einer darauf, sich auf sie zu stürzen.
»Johanna, komm jetzt runter!«
Sie mochte seinen selbstgefälligen Tonfall nicht. Das hätte sie ihm auch gerne gesagt, aber sicher würde er sich jetzt nicht für ihre Meinung interessieren. Wahrscheinlich war es besser, ihrem Mann zu gehorchen.
Unglücklicherweise wollten ihr die Beine aber nicht gehorchen. Sie hatte den Ast so lange mit den Schenkeln umschlungen gehalten, daß sie butterweich wurden, als sie versuchte, sie auf den nächsten Ast zu stellen.
Schließlich mußte Gabriel heraufkommen. Und er mußte ihre Hände halb gewaltsam vom Stamm lösen. Sie schien nie wieder loslassen zu können.
Er legte ihr die Arme um seinen Nacken und zog sie an sich. Ein Arm lag fest um ihrer Taille, sein anderer über dem Ast, um sie beide festzuhalten.
Eine lange Minute verharrte er so. und erst durch die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, bemerkte Johanna, wie sehr sie fror. Sie zitterte sogar.
Er übrigens auch, wie sie plötzlich feststellte. War er so wütend auf sie?
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