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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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»Focus« die widerrechtliche Verschleppung des Spions durch Alliierte auf.
    Für Kid bedeutet die Umsiedlung in die DDR nicht bloß den Wechsel von einem Imperium ins andere. Mexiko ist der Scheitelpunkt des Polit-Thrillers; das böse Ende konnte man vorhersagen. Äußerlich tauscht er texanische Sonne gegen sozialistisches Grau; der Schritt kam selbstgewählter Verbannung gleich. Jeff reagiert mit »schweren psychischen Depressionen« auf das Exil. »Krankheitsneurosen« sind Folgen von »OrientierungsundPartnerlosigkeit«, vielleicht auch seelischer Qual über seinen Verrat. Alles zusammen gehört zum Formenkreis eines gebrochenen Charakters.
    Anfangs schottete man ihn in Annaberg-Buchholz ab. Dann Wohnen mit Familienanschluss bei »Herbert und Waltraud«, Adresse »Pariser Kommune 1«, Berlin. Herbert sei Dozent an der Uni gewesen, berichtet Carneys Lebensgefährte A. Kenner vermuten in den beiden das »IM-Ehepaar Dr. Martin und Ehefrau«. Es kontrollierte laut Akte den völlig ahnungslosen Jens »im Freizeitbereich«.
    Im Mai 1986 bezieht Carney die renovierte Bleibe in der Pintschstraße, Monatsmiete 49,30 Mark. Möbel von der HVA. Fernseher und Video, Marke JVC, laufen heute daheim in der glanzpolierten Behausung von Freund A. Er hat etwas Verhuschtes, wobei Kids ominöses Verschwinden auch starke Typen an den Rand der Möglichkeiten getragen hätte. Seinem Lover stellt sich Jens mit den Worten vor: »Gebürtiger Dessauer, Angestellter der Technischen Post«. Der Mietvertrag tarnt ihn als zugezogen aus »Güstrow, Leninring 12«, Unterschrift steil und ungeübt: »Jens Karney.«
    Kid brauchte eine andere Identität. Für das neue Ich deutschte man Jeffrey in Jens, Carney in Karney ein. Die oberflächliche Veränderung ist ein Indiz, für wie unangreifbar und verborgen man die Person hinter der HVA-Registriernummer 2047/84 hielt. Er steht als »ehemaliger Staatsbürger der USA« auf dem Papier: »Die Legalisierung als DDR-Bürger wurde abgeschlossen«, 15. August 1987. Der Aufenthalt sei »offizialisiert durch die Übergabe eines Personalausweises der DDR mit polizeilicher Anmeldung«. Beim überfallartigen Eindringen in Carneys Wohnung nehmen die Air-Force-Agenten seinen DDR-Ausweis an sich. Er vermerkt: Augenfarbe braun, Größe 180 Zentimeter,ferner: »Dieser Pass ist gültig bis 15. 12. 1999.« Karneys Bundespass vom 7. März 1991 kassiert der Trupp ebenfalls. Außerdem knipst er rund 100 Farbfotos und nimmt den Lada mit. Kid wollte die Karre verkaufen, ein Suzuki war schon bestellt.
    Zur Rundumversorgung durch die Stasi gehörte das sofort verfügbare Telefon. Was der nunmehrige DDRler nicht wusste – sein Apparat wird abgehört. »A, M, PZF, VI« laufen, als da sind: »Abhören, Postkontrolle, Postzollfahndung samt Überwachung bei Ein- und Ausreise.« Punkt 4.1 regelt: »Die Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen sind möglichst umfassend, jedoch unbemerkt für Kid zu organisieren.« Das Programm entsprang dem bekannten Stasi-Wahn wie seiner in den Akten beklagten »Unberechenbarkeit«. Die Aufpasser argwöhnten, Jens werde bei Amnestie für Deserteure sofort eine »NSW-Botschaft« (nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet) anlaufen, »um Übersiedlung« bitten. Sie finden »kein Motiv« für Bindung an die DDR, »außer Angst vor gerichtlicher Bestrafung … oder vor Lynchmord durch seine ehemaligen Vorgesetzen«. Kurz: Kid fehlt die sozialistische Gesinnung. Nicht eine Silbe der mit Aversion durchtränkten Beurteilungen zeugt von menschlicher Anteilnahme. Verachtung für den Spion schreibt mit. Bestürzend ist zu lesen, in welches Licht die Schreibtischtäter jemanden setzen, der sein Leben für sie riskierte; Jeff drohte in den USA die Todesstrafe. Wenn er damals nicht kapierte, welch finsterer Macht er sich ausgeliefert hatte, dann muss er es beim Studium seiner Stasi-Akten erkennen, die man ihm jetzt in die Haft schickte. Angesichts der Kälte der HVAler erscheint der Täter zugleich als ihr Opfer.
    Für Mielkes Spießer-Truppe ist der Schwule ein unsicherer Kantonist. Seine Homosexualität beschäftigt ihre Phantasie. Mit beträchtlichem Biedersinn wird Klage darüber geführt, »dass der Umgangskreis der Quelle schwer überschaubar« sei, »nicht unterKontrolle gehalten werden kann«. Der »ausgedehnte personelle Umgangskreis« erstrecke sich »in mehrere sozialistische Länder (Ungarn, ČSSR)«. Ein »Teil dieser Personen« fahre »selbst ins Operationsgebiet«, gemeint ist die BRD, »gezeichnet:

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