Die Stasi Lebt
die Coolness. Ob der 45-Jährige Mitleid für den Häftling empfinde? Es dauert, dann entringt sich seiner breiten Brust ein beschämtes »Ja, doch«. Aber das sei alles zehn Jahre her. Neun davon sitzt sein Kumpel im Knast.
Über die Entführung Kids durch OSI-Agenten wird amtlicherseits weiter der Mantel des Schweigens gebreitet. Das Kabinett Kohl beließ es in Washington bei müdem »Protest« gegen die »gewaltsame Rückführung«, am 4. Februar 1998 von einem »Assistant Secretary of State« entgegengenommen. Der interne Bonner Schriftverkehr lässt keinen Zweifel: die Ergreifung des Spions auf Berliner Boden stellt »eine klare Völkerrechtsverletzung« dar. Besatzungsrecht galt nicht mehr, die USA missachteten die seit fünf Wochen geltende deutsche Souveränität, klautenden Bürger Karney von der Straße weg, »vergelten Unrecht mit Unrecht«, wie Kids Freund klagt. Das stärkste Argument taucht in deutschen Stellungnahmen noch nicht mal auf: Nach dem amerikanischen Rechtsgrundsatz »fruit of the poison tree« (Früchte des vergifteten Baums) hätte Kid gar nicht verurteilt werden dürfen, weil er aufgrund illegaler Aktionen vor Gericht kam. Kid gehörte in Deutschland vor den Richter. Das Bonner Einknicken vor der Supermacht ist ein Skandal für sich. Zumal im Prozess herauskam, US-Botschafter Vernon Walters war direkt in den Vorgang eingeschaltet und drängte auf Eile. Bei den Akten liegt ferner der staatsanwaltliche Befund, Kids Verbringung könne »objektiv strafbar gewesen sein«. Die in Betracht kommenden Delikte: »geheimdienstliche Agententätigkeit, gemeinschaftliche Nötigung, Freiheitsberaubung, Amtsanmaßung«. Dann folgt der Zusatz: Die Taten seien aber bereits 1996 verjährt gewesen. Also gab es auch kein Ermittlungsverfahren gegen die US-Agenten. Die hinterließen bei Kids Freund A. sogar eine Kontaktnummer, im Verfahren trat etwa »Special Agent Barry« auf. Keine Behörde sah im Übrigen bisher Carneys Gauck-Akte ein, das einzige Dokument mit Hinweisen auf dessen DDR-Staatsbürgerschaft. Auch nicht das Außenministerium, das heute auf Anfrage trotzdem erklärt: »Eine Einbürgerung durch eine DDR-Behörde ist nie erfolgt.« Kids Dossier legt das Gegenteil nahe.
Für Carneys alte Stasi-Kameraden, die so gern über Solidarität schwadronieren, ist die Sache ebenfalls peinlich. Sonst kümmert sich die »Initiative Kundschafter für den Frieden« um verurteilte Spione. Der Extremfall Kid ist dort überhaupt nicht bekannt. Oberst Rogalla hadert mit der eigenen Deklassierung durch die Wende. Ab und an schiebt sich das Bild des ins Nichts gestürzten Carney ins Bewusstsein, rührt an sein schlechtes Gewissen.
Er meint aber, selbst Spendenaufrufe in seinen Reihen brächten nicht genug Geld, um ihm einen US-Anwalt zu finanzieren. So verweist in der Stasi-Szene einer auf den anderen. In Wahrheit wird verdrängt, wie viel Menschen Mielkes Klub ins Unglück gestürzt hat.
Der Mann, der Kid war, ist für den »Tagesspiegel« nicht zu sprechen. Unseren US-Korrespondenten Robert von Rimscha beschied die Gefängnisleitung, es gebe »grundsätzlich nur Besuchserlaubnis für jene, die Carney vor seiner Inhaftierung persönlich kannten«. Jeff schreibt an seiner Biographie, erzählt der Freund. Verräter verraten Verräter ist in Wahrheit ein Tragödienstoff.
Jagd auf die Hummel
Aus der Akte von Walther Leisler Kiep
Die Stasi wusste alles: mit wem er telefonierte, was er trank und was er dachte. Walther Leisler Kiep wurde 30 Jahre ausgeforscht. Aus der Akte des CDU-Politikers.
»Hummel« im Anflug: Jeden Besuch des CDU-Schatzmeisters Walther Leisler Kiep avisierte die Hauptabteilung VI (»Objektsicherung und Tourismus«) der DDR-Staatssicherheit per Eilmeldung und befahl »durchgehende Kontrolle und Überwachung« der »Hummel«.
Wer immer den Decknamen erfand, ein Faible für Insekten ist ihm nicht abzusprechen. In den Dossiers firmiert Kieps Ehefrau als »Biene«, die Tochter heißt »Fliege« und der Fahrer »Drone«, was auf intime Kenntnis der Gattung Kerbtiere schließen lassen könnte, wäre Drohne richtig geschrieben. Über 25 Jahre hing die Stasi hüben wie drüben wie eine Klette am langjährigen Schatzmeister der Union. Bei der Gauck-Behörde umfasst die bisher aufgefundene Akte 900 Blatt; Kiep dürfte einer der am besten ausgeforschten Westpolitiker gewesen sein. Kenner der Materie sprechen von ihm als »gläserner Hummel«. Der 1960 begonnene »Objektvorgang« endet im Sommer
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