Die Stasi Lebt
89 und blieb weitgehend erhalten, eine Sensation für sich. Die akribische Observierung Kieps wird hier erstmals rekonstruiert.
Der Spitzenmann elektrisierte die Stasi. Im März 1982 lautete die »politisch-operative Wertung« eines »Oberleutnants Hiller«, Kiep selbst bezeichne sich als »Ostexperte«. Er sei in einer »eventuellen CDU-Regierung als Außenminister« vorgesehen.
An anderer Stelle ist von Beziehungen »zu amerikanischen Politikern und Finanzkreisen« die Rede. Die Jäger, Sammler und Fallensteller hatten also einen Mann mit Zukunft und internationalen Kontakten im Visier, der »mit Wissen und Billigung höchster zuständiger Stellen der DDR« ins Arbeiterparadies geschneit kam. Kiep besuchte regelmäßig die Leipziger Messe und konferierte mit den Ober-Genossen Mittag, Beil oder Häber. Anschließend landeten »Treffberichte« in Mielkes Büro, brav im »Posteingangsbuch« quittiert: »Information (d. Gen. Beil – erhalten von Gen. Honecker – über ein Gespräch mit Leisler Kiep am 9.6.83 = 1 Blatt)«.
Mielke persönlich präzisierte mit der »Vertraulichen Verschlusssache« 13/75 die Vorgabe. Für Kiep-Besuche verfügte er den »Einsatz spezieller operativer Kräfte«, die »gut abgedeckt und absolut unsichtbar« dessen Ausspähung zu gewährleisten hätten. Parallel forderte er, »weiterhin zielstrebig Informationen aus dem Operationsgebiet (gemeint: BRD)« über ihn zu erarbeiten. Ob die »Hummel« dann in Ostberlin oder Halle aufkreuzte, Heerscharen von Aufpassern umschwärmten sie schon. Für Informationen »über relevante Vorkommnisse« war die Berliner Telefonnummer 51970 reserviert. Die Dunkelmänner knipsten ihn samt Begleitung unterwegs in »offener Technik« mit einer »Practica« oder, »konspirativ«, aus einer Umhängetasche heraus mit einem Gerät namens »Robot«. Besuchte er den Ständigen Vertreter Bonns in Ostberlin, hielten Überwachungskameras erst recht drauf. In hanebüchenem Deutsch verfertigten Schnüffler »Beobachtungberichte zu der Persönlichkeit Leisler Kiep, Walther«. Den Namen schrieben sie in jeder denkbaren Variante falsch. Das MfS klassifizierte »Hummel« als einen »der einflussreichsten CDU-Bundestagsabgeordneten«, ergänzte kühn: »Gilt als Finanzier der CDU«. Die Rede war von Einheiratungin den Bayer-Konzern«, er bestimme »wesentlich die Politik der Konzerne der BRD«. Unter »besondere Hinweise« stand: »Interessenvertreter des IG-Farben-Konzerns«. Ergo: Dieser Kapitalist passte ins Feindbild, folglich richtete sich der »Streng Geheime Zielkontrollauftrag« insbesondere auf »finanzielle Zuwendungen von Firmen für die CDU«, »Kontakte zu BRD-Unternehmen«, »Hinweise zum Persönlichkeitsbild« sowie »Meinungen zu Politikern aller Parteien«. Alles in allem irritierte das Objekt der besonderen Begierde aber das gepflegte Bonzen-Klischee. Fast erschrocken registrierten Beschatter sein »selbstbewusstes, beherrschtes, freundliches« Auftreten.
Die Bezirksverwaltung Erfurt führte die Zielperson als »Dauergast«: Von 1975 bis 88 sind gut zwanzig Reisen erschöpfend protokolliert. Brisanter sind die Mitschnitte von Kieps Telefonaten im Westen, aus dem Auto oder Büro geführt, eingefangen via Richtfunkantenne Suhl. Im Zweifel filterten sie ihn »anhand eines Stimmenvergleichs« aus der Datenflut heraus. Aufgezeichnet wurden Gespräche mit VW-Chef Toni Schmuecker und dem damaligen hessischen CDU-Landeschef Alfred Dregger. Die Abhörer erfuhren, was Kiep im nächsten Parteipräsidium fragen würde, etwa: »Welche Haltung nimmt Kohl zur Europa-politik ein?« Gegebenenfalls werde er ihn »hart zurechtweisen«. Beurteilungen zur SPD zeichnete man auf, klinkte sich in Unterredungen mit Ministerpräsident Ernst Albrecht ein. Die Bänder drehten sich weiter bei Gesprächen mit Parteifreund Rainer Barzel. Er wünschte eine Spende von 1000 Mark für den RCDS Paderborn. Wertungen eines Kohl-Auftritts in Dortmund (»relativ vernünftig«) und des Fraktionschefs Carstens, der »nur geschrien« habe, finden sich im Dossier.
Im November 1976 waren die Lauscher am Rohr, als »Hummel« einigermaßen echauffiert über Franz Josef Strauß plauderte:Acht Tage zuvor hätten sie in München »über Gott und die Welt und über alles gesprochen« – der CSU-Chef aber hatte kein Wort über die geplante Trennung von der Schwesterpartei verloren. 1983 erfuhr Ostberlin, dass Kiep bei der Bundestagswahl FDP und Grünen »diesbezüglich keine Chance« einräumte. 1986 kam
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