Die Stasi Lebt
um.
Bei der Hauptverwaltung Aufklärung lauerte insbesondere Oberst Kurt Gailat begierig auf Berichte aus Bonn. Von dem hochdekorierten Überzeugungstäter, im Mitteltrakt an der Ruschestraße stationiert, geht das Gerücht, er habe SPD und CDU besser gekannt als deren eigene Vorsitzende. Der Jurist promovierte über die »politisch-operativen Aufgaben zur Förderung und Formierung fortschrittlich sozialer Kräfte und politischer Plattformen« am Beispiel Westdeutschlands. Bei der Rückkehr von Kanzlerspion Guillaume bildete er zusammen mit Markus Wolf ein nicht ganz geheures Empfangskomitee. In ostpreußischem Dialekt gab Gailat gern zum Besten, er wisse, was am nächsten Tag in Kohls Ministerien passieren würde. Meist stimmte es. Weniger gern erwähnte er sein Spitzengehalt, das bei 3800 Mark gelegen haben soll. Ihm zur Seite stand mit Genosse F. ein perfekter Kenner der Union; F. machte mit der Anwerbung des CDU-Abgeordneten Julius Steiner Geschichte. Nicht zu vergessen Major R. von der »Desinformation«. Seit sein Wissen über die CDU nicht mehr gefragt ist, verkauft er Glühbirnen, kolportieren alte Kameraden.
Die Bonner wiegeln heute gern ab, dass des Kanzlers Telefon doch »elektronisch gesichert« gewesen sei. Major T., der im neuenDeutschland ein etwas vorwurfsvolles Gesicht spazieren trägt, lächelt milde: »Das höre ich heute zum ersten Mal. Für uns war das zugänglich.« Einschränkend fügt er hinzu: »jedoch nicht, wenn Kohl mit dem US-Präsidenten telefonierte«. Selbst wo Sprachverschleierer vor dem Abhören schützen sollten, knackte Mielkes kriminelle Vereinigung akustische Sperren oftmit Entschlüsselungsgeräten. Sinnigerweise stammten sie aus Westproduktion. Der ganze Ehrgeiz des MfS lief ohnehin nur darauf hinaus, Details zu Personen anzuschleppen, »die der Gegner besonders abschirmt … bzw. die einer besonderen Sicherheitsstufe unterliegen«. Schlussendlich verbanden so viele Kanäle die Lauscher mit ihrem Opfer Kohl, dass sie jede Nuance des dialektgefärbten Nuschelns von ihrem alten Bekannten auf der Tonspur hatten. Spätestens seit 1987 fielen außerdem sämtliche Autotelefone des Kohl-Kabinetts rund um die Uhr unter »Zielkontrolle«.
Beispiel »WEBER, Juliane, Leiter des persönlichen Büros des Bundeskanzlers«. Mit diesem verheißungsvollen Titel stand sie ganz oben auf der Stasi-Liste. Offizielle Fotos zeigten sie gern am überladenen Schreibtisch mit Telefon. Ob ihre dienstliche Durchwahlnummer 001 oder ihr Telefon daheim, Bonn 32 …, die HA III hing in der Leitung. Bei wem sonst wäre das Plansoll besser zu erfüllen gewesen, »in operativ-relevante Territorien« des verhassten Klassenfeindes einzudringen. Der Auftrag 11.015. vom 9. August 1984 beinhaltete, bei Frau Weber »Hinweise zur Gestaltung der Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber der DDR …« abzuschöpfen, »interne Vorgänge im Bundeskanzleramt« zu ergattern. Erwünscht waren ferner »Angaben zum Privatbereich« und: »Kompromittierende Fakten«. Die Stasi schloss in ihrer Hybris nicht aus, selbst die treueste Kohl-Anhängerin könnte sich für geheimdienstliche Anbahnung eignen.Das Ausspionieren der Regierungsdirektorin zielte gleichsam ins Herz der Macht. Parallel horchte die HA III bei Eduard Ackermann, Kohls männlichem Intimus. Status: »Leiter Abteilung Kommunikation und Dokumentation«. Auch bei ihm sollten vom 10. Dezember 1984 an »Interna« und »Privatsphäre« abgeschöpft werden. »Bestätigt: J.«, steht oben rechts auf der grauen Karteikarte, ein Bereichsleiter.
Die schiere Menge und die Dauer des Mithörens fügten sich zu einer ziemlich exakten Innenansicht des Systems Kohl. Bereits 1983 peilte man mit Zielkontrollauftrag 70359 den Staatsminister Philipp Jenninger an: »Wir hatten ihn immer«, berichtet ein Beteiligter. Ebenso hing der erste Staatssekretär Waldemar Schreckenberger, Helmuts Schulfreund, an der unsichtbaren Kette der Stasi. Wegen seiner besonderen Kanzlernähe programmierten die Techniker die Nebenstelle 040 und die damalige Privatnummer 281835 in die Suchmaschine. Ergänzend schaltete man sich bei »Schreckis« bevorzugten Telefonpartnern auf. Das letzte Band datiert vom September 1989. Übers Mithören sollten seine »Persönlichkeit« und seine »Stellung innerhalb der CDU und zum Vorsitzenden« ergründet werden. So erfuhr man auf der Stelle vom Zwist zwischen ihm und Ackermann. Von Kohls »Umfeldpersonen« hatte die Stasi Professor König unter Kontrolle,
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