Die Statisten - Roman
doch bist, Eddie, du kannst Fragen stellen, vor denen ich mich fürchte!â Sie wechselte das Thema. âWas ist mit dir, du redest nie über deine Freundin. Oder sollte ich Freundinnen sagen?â
âSie ist Anglo, und meine Mutter kann sie nicht ausstehen. Aber ich hab sowieso nicht vor zu heiraten, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.â
âDas habe ich früher auch immer gesagt.â Sie schwieg kurz. âNiemand wünscht sich schlechte Zeiten. Sie passieren einfach. Aber dadurch verlieren die guten Zeiten ja nicht ihren Wert.â Eddie brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass sie zu seiner früheren Frage zurückgekehrt war. âDie ersten sieben Jahre waren wir unglaublich glücklich. Es tat mir leid, dass meine Familie mit mir gebrochen hatte, aber abgesehen davon hatte ich nicht eine Sorge auf der Welt. Wir haben uns keinen Augenblick gelangweilt, wir haben Reisen gemacht, und nicht nur auf seiner Maschine. Wir sind nach Kaschmir gefahren, dann nach Kanyakumari, ans andere Ende des Landes.â Sie schien sich in ihren Erinnerungen zu verlieren. Es war so, als sei sie wieder an den Orten, von denen sie gesprochen hatte.
âWo sind diese Tage nur hin? Die Freude und der Gesang und der Tanz? Glaubst du, die Götter wurden neidisch auf uns?â
âHatte er einen Motorradunfall?â
âEr arbeitete in der Fabrik, als er einen Schlaganfall bekam und sein linker Arm von der Maschine erfasst wurde.â
Eddie warf einen Blick auf seine Uhr. âEs wird allmählich spät. Ich sollte heimgehen.â
âLass uns auf das neue Jahr trinken!â
Sie stand auf, noch ehe Eddie etwas erwidern konnte, und schaltete den Plattenspieler ein, der es immer schaffte, Ardeshir auf die Beine zu bringen. Sie platzierte ein paar LPs auf den Plattenwechsler und drehte die Lautstärke herunter, damit die Nachbarn nicht gestört wurden. âTanz mit mir, Eddie.â Sie ergriff seine Hand. Er stand auf.
âIch kann mich gar nicht erinnern, wann ich das das letzte Mal gemacht habe.â
âWarum tanzen Sie denn nie mit Ardeshir?â
âGeschäftszeiten sind fürs Geschäft.â Sie schloss die Augen. Die erste LP fiel herunter, und der Arm des Plattenspielers hob sich, schwenkte an den Rand der Platte, und es erklang ein Tango. âOh!â Serena Fernandes klang überrascht. âFalsche Platte. Ich leg was Leichteres auf.â
âTanzen Sie keinen Tango?â, fragte Eddie enttäuscht.
âDu?â
âStellen Sie mich auf die Probe.â
Serena Fernandes hatte die Frage nicht als Herausforderung gemeint, aber Eddie hatte sich fortreiÃen lassen und bedauerte es jetzt schon. Wie er wusste, war der Tango nie nur ein Gelegenheitstanz, aber besonders schwierig wurde es, wenn man ihn mit einer neuen Partnerin tanzte. Man musste sich ihrem Rhythmus und Stil anpassen, und wenn man es nicht hinbekam, konnte man sich lächerlich machen. Alles daran war formell und durchdacht, doch waren die zwei Partner einmal im Einklang, konnte nichts beglückender sein. Die Hauptsache war loszulassen. Eddie wusste das alles. Unglücklicherweise war er jetzt nervös. Er atmete tief ein und drückte Mrs Fernandes fest an sich. Sie verstand das Signal.
Es lief nicht schlecht, auch wenn sie beide ein bisschen steif und überkorrekt waren und ihnen die Unbekümmertheit fehlte. Aber irgendwann im Lauf der zweiten Minute hätte Eddie sie fast zum Stolpern gebracht. âHoppla, tut mir leid!â, sagte sie. âIch bin ein bisschen eingerostet.â Er war ihr dankbar, dass sie die Schuld für seine Ungeschicklichkeit auf sich nahm, und entspannte sich. Bald vergaà er, die jeweils nächste Figur vorauszuplanen und überlieà sich dem Tanz. Serena Fernandes war so leichtfüÃig, dass man meinen hätte können, sie habe Rollschuhe an. Er konnte sie völlig mühelos drehen, wenden und herumwirbeln und sie zurückbeugen, bis ihr Kopf fast den FuÃboden berührte.
Der Tango, fand Eddie, fing mit zwei Personen an, aber irgendwann war keine von beiden mehr übrig und eine dritte Partei übernahm das Regiment. Wenn es gut ging, besaà der Tanz eine Intimität, der kein Geschlechtsakt gleichkam. Er hatte keine Ahnung, wer wen führte. Sie wirbelten durch den abgetrennten Raum, fast ohne den Boden zu berühren. Er spürte jetzt, wie sein Körper von ihm abfiel, und er schien
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