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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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ich meine, wirklich – ein, Eddie würde seine Anwesenheit zur Kenntnis nehmen?

    Silvester war der schlimmste Tag des Jahres. Aunties Gäste fühlten sich bemüßigt, zumindest bis Mitternacht herumzusitzen. Jetzt war es halb zwei, und es waren noch immer grölende Nachtschwärmer unterwegs, und gelegentlich zog ein Wagen mit verbotenem Kompressorhorn vorüber und trötete im Takt einer Melodie, die nur der Fahrer kannte. Es war schwierig, aus dieser Stadt schlau zu werden, dachte Eddie, erst recht aus dem ganzen Land. Wie kam es, dass Hindus, Parsen, Sikhs und Neobuddhisten Weihnachten und Neujahr feierten, als seien es ihre eigenen Feste? Das Thermometer zeigte 27° Celsius, aber die hinduistischen Ladenbesitzer hatten ihre Schaufenster, ob man es glaubt oder nicht, mit Watte-Schnee dekoriert, manche sogar mit Weihnachtsmännern. Kein Christ oder Muslim würde je auf die Idee kommen, Divali, Pateti, Holi oder Baisakhi als eigene Feiertage zu begehen. War das gut oder schlecht?
    â€žEddie“, rief Ardeshir Bharucha, „allerletztes Glas. Und bitte nicht knausern, sei so nett.“
    Eddie selbst hätte nichts dagegen gehabt, zu Navratri neun Nächte hintereinander mit hübschen Frauen in maßgeschneiderten ghaghra-cholis und diesen schönen bandhani orhnis auf der Terrasse zu tanzen oder zu Baisakhi einen bhangra aufs Parkett zu legen. Vielleicht sollten das alle so machen, sich gegenseitig die Feiertage und Fiestas abgucken. Dann wäre es nicht mehr so leicht, sich die Köpfe einzuschlagen.
    â€žEddie, bist du noch da? Ich habe vor einiger Zeit um ein großes letztes Glas gebeten.“
    â€žTut mir leid, Mr Bharucha. Es ist schon ziemlich spät, und ich bin anscheinend müde.“ Ardeshir steckte Eddie einen Fünfzig-Rupien-Schein zu, als der ihm seinen Drink servierte.
    â€žIch bin in fünf Minuten weg. Dann kannst du die Bar schließen und heimgehen.“
    â€žKeine Eile, Mr Bharucha“, log Eddie.
    â€žIch hoffe, das nächste Jahr bringt dir Glück, und ich sehe deinen Namen über dem Eingang von Theatern, Eddie.“
    â€žSie meinen dieses Jahr“, korrigierte Mrs Fernandes Ardeshir.
    â€žJa, Sie haben recht. Können Sie mich hören, Mr Fernandes? Ich wünsche Ihnen eine baldige Genesung.“
    â€žEr schläft.“
    â€žAlles Gute, Mrs Fernandes, wir sehen uns morgen. Gute Nacht Ihnen allen!“
    Wie versprochen, war Ardeshir nach fünf Minuten weg. Eddie wischte die Tische ab, klappte schnell die Stühle zusammen und stapelte sie aufeinander.
    â€žGlauben Sie, die Menschen hätten etwas mehr Spaß im Leben, wenn sie aufhören würden, sich so krampfhaft darum zu bemühen?“
    â€žDu wirst allmählich zu einem vorzeitig weisen Mann, Eddie.“ Sie lächelte ihn an. „Dieses Lokal mag zwar Auntie’s genannt werden, aber tatsächlich ist es der einzig wahre Klub der einsamen Herzen. Wer weiß schon, warum wir unglücklich sind, welchen Schmerz und welches Leid wir in unseren Herzen herumtragen? Das Problem, wenn man einem lieben Menschen weh tut, ist, dass man sich unter Umständen selbst noch mehr weh tut. Kommt dann Weihnachten und Silvester, bläht sich alles unverhältnismäßig auf, und wir kuscheln uns aneinander in der Hoffnung, dass die Gesellschaft anderer Menschen uns etwas Trost bringen möge. Was macht es schon, wenn es letzlich nur eine Illusion ist?“
    Wovon redete Mrs Fernandes? Es schien, als habe sie sich in ihre Erinnerungen zurückgezogen und führe jetzt Selbstgespräche. Es war ihr ungeschriebenes Gesetz, nie über persönliche Dinge zu sprechen. Sie mochte zwar jedermanns Beichtmutter sein, aber sie selbst vertraute sich niemandem an. Ausdruckslos schweiften ihre Augen durch den Raum und blieben auf Eddie haften.
    â€žSchau nicht so besorgt, Eddie. Ich rede dummes Zeug. Wie du siehst, hat das Neujahr auch mich erwischt. Mögest du niemals alt werden, Eddie, und die Enttäuschungen, den Herzenskummer und die Plagen des Lebens kennenlernen.“
    â€žSie sind ja wohl nicht alt!“
    â€žDu hast mir eine Freude gemacht, auch wenn ich weit älter bin, als ich sein sollte. Bist du unglücklich hier, Eddie?“
    â€žNein.“
    â€žWarum willst du dann nächsten Monat hier aufhören? Ich gebe dir eine Lohnerhöhung. Und du kannst jederzeit gehen, wenn du deinen ersten Vertrag

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