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Die Statisten - Roman

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Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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Rana Sangram, dem König von Mewar, angeführt wurde, antreten zu müssen –, Flucht sei die beste Verteidigung. In dieser Nacht versammelte Babur seine vertrautesten Adligen und Generäle in seinem Zelt, schwor mit ihnen allen auf ewig dem Alkohol ab und zerschmetterte dann, um die Unwiderruflichkeit der Entscheidung zu unterstreichen, alle Gold- und Silberbecher. Diesmal hielt er Wort.
    Seine Nachfolger auf dem Thron der mächtigen Mogul-Dynastie waren allerdings keineswegs dem Trinken abhold. Manche von ihnen, wie Humayun und insbesondere Jahangir, waren nicht nur regelrechte Säufer, sondern auch allerlei sonstigen Suchtmitteln ergeben. Aurangzeb hingegen – zwar nicht der letzte, aber mit Sicherheit der letzte große Mogul-Kaiser – war ein totaler Abstinenzler.
    Es ist kaum vorstellbar, den Namen Aurangzebs mit demjenigen Mahatma Gandhis in einem Atemzug zu nennen, aber wenigstens eines hatten die beiden gemeinsam. Wie Aurangzeb rührte auch Gandhi keinen Alkohol an. Vielleicht aber würden die Ähnlichkeiten hier noch gar nicht enden, denn hätten beide auch nur eine geringe Erfolgschance gesehen, hätten sie ihren Landsleuten die Prohibition aufgezwungen. Die neue Theologie des zügellosen Kapitalismus und blindwütigen Konsumwahns hat nicht nur dazu geführt, dass der „Vater der Nation“ jede Bedeutung verloren hat, sie unterstellt auch, dass Gandhi nur irgendein Spinner war und seine Theorien über Landwirtschaft, Wirtschaft im Allgemeinen und die Umwelt nichts als dummes Geschwätz waren. Die lächerlichste Flause, die um seinen Glatzkopf schwirrte, war laut dem Evangelium der freien Marktwirtschaft, das unsere Landsleute mit dem Fanatismus der Neubekehrten an ihre Fahnen hefteten, die Prohibition.
    Gandhi hatte die Idee der Prohibition fraglos mehrmals aufgeworfen. Seine Argumente waren nicht nur einleuchtend, sondern auch fundiert. Jede wissenschaftliche Studie hatte gezeigt, dass Alkoholkonsum viele Menschenleben kostete, besonders unter jungen Leuten. Zu viele arme Familien versanken in noch größere Armut, weil der Mann des Hauses alkoholsüchtig war. Am meisten hatten darunter die Frauen zu leiden. Die Männer verloren ihre Jobs, und die Bürde für den Unterhalt der Familie und die Finanzierung der Sucht des Ehemannes musste von den Frauen geschultert werden. Und fast immer verschärfte der Alkoholismus das ohnehin allgegenwärtige Problem häuslicher Gewalt.
    Aber es gab auch einen weiteren, scharfsinnigen, taktischen Grund, warum Gandhi sich für die Prohibition stark machte. Er hatte die Bewegung des zivilen Ungehorsams initiiert, weil er instinktiv wusste, dass die Achillesferse der Briten die Wirtschaft war. Wie wäre die Regierung besser zu treffen gewesen als durch den Boykott aller britischen Waren, einschließlich alkoholischer Getränke?
    Als Indien die Unabhängigkeit erlangte, bestand keine Notwendigkeit mehr für zivilen Ungehorsam. Doch Gandhi- jis Sorge über die Auswirkungen des Alkohols auf die Armen war so groß, dass Artikel 47 der „Grundsätzlichen Richtlinien“, die im Dezember 1948, also kein Jahr nach der Ermordung des Mahatmas, in der verabschiedeten Verfassung verankert wurden, empfahl, den Alkoholkonsum zu verbieten. „Grundsätzliche Richtlinien“ können ebenso gut als überflüssig und als heiße Luft angesehen werden wie als edelste Bestrebung einer Nation. Sie sind zwar nicht bindend, aber die Provinz Bombay, die damals sowohl Maharashtra als auch Gujarat umfasste, war eine der ersten Provinzen, die 1949 das Alkoholverbotsgesetz verabschiedeten.
    Der Grund, warum Bombay zu den Vorreitern gehörte, war die Tatsache, dass es zwei Chief Minister hatte, Balasaheb Kher und Morarji Desai, die beide fanatische Anhänger von Gandhi waren. Desai war ein unerbittlicher Zuchtmeister und – als Verfechter der Eigenurintherapie – die Zielscheibe unzähliger Witze. Pisse wurde oft als „Morarji- bhais Scotch“ bezeichnet.
    Gandhi wusste durchaus, dass die Prohibition in den Vereinigten Staaten ein Fiasko gewesen war, doch er schrieb dies dem Fehlen einer sittlichen Tradition und einer grundsätzlichen Enthaltsamkeit zu, Tugenden, an denen es Indien seiner Ansicht nach nicht mangelte. Doch die Prohibition erwies sich – in Bombay und überall sonst, wo sie eingeführt wurde – als Mutter der Heuchelei, der Verlogenheit und des

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