Die Statisten - Roman
Licence Raj . Sie war der tödliche Knochen der Korruption, an dem die Bürokratie, die Polizei und die Politiker Indiens sich die Zähne wetzten. Die MaÃnahmen, die zur Durchsetzung der Prohibition ergriffen wurden, waren häufig skurril und absurd, wie jener Polizeikontrollposten in Mahim nahe der St. Michaelâs Church, wo Eddies Bus ebenso wie alle anderen privaten oder öffentlichen Transportfahrzeuge halten mussten und durchsucht wurden, während man nur ein paar hundert Meter weiter mit den Lokalzügen ungestraft jede beliebige Schmuggelware in die Stadt schaffen konnte. Flüsterkneipen, oder âAuntieâsâ, wie sie in Bombay genannt wurden, schossen überall in der Stadt wie Pilze aus dem Boden, um die riesige Nachfrage zu befriedigen.
Die Tragikomödie namens Prohibition hielt sich beinahe so lange wie Agatha Christies âMausefalleâ. In ihrer Glanzzeit konnte man sich für Alkohol â trotz seiner medizinisch unumstrittenen Schädlichkeit â eine Sondergenehmigung âaus Gründen der Erhaltung und Bewahrung der Gesundheitâ kaufen. Und in der Tat lässt sich nicht bestreiten, dass alle an dieser Transaktion Beteiligten davon profitierten: der Arzt, der das Attest unterschrieb, der Patient, der an â als Herzleiden ausgegebenen â Entzugserscheinungen litt, der Beamte, der gegen eine inoffizielle Gebühr die Sondergenehmigung ausstellte, und zuletzt vor allem der Staat, der die tatsächlichen Gebühren einsackte. Wie sich von selbst versteht, hätte wenigstens halb Bombay am liebsten akute Gesundheitsprobleme geltend gemacht, die allesamt durch massive Gaben von Alkohol zu kurieren gewesen wären.
Wie so oft war es die Wirtschaft, die der Situation einen gewissen Realitätsbezug verlieh. Bombay hat die landesweit höchsten Steuereinnahmen, und dennoch steckt die Stadt schon so lange in den roten Zahlen, dass ganz Maharashtra von vielen als gescheitertes politisches Experiment angesehen wird. Die Lösung, auf die man kam, war eine klassisch indische. Die Farce und Schikane des Gesetzes bleibt auf dem Papier in Kraft. Offiziell muss man sich, wenn man Bier, Wein oder stärkere Sachen kaufen will, nach wie vor ein ärztliches Attest besorgen, andererseits kann aber jeder über achtzehn in einen Spirituosenladen spazieren und bekommt, solange er den Preis dafür zahlen kann, alles, was er will. Der Grund ist offensichtlich. Alkohol ist eine echte Goldgrube. Die Steuern sind so weit gestiegen, dass der Kunde mittlerweile pro Flasche ebenso viel in den Staatssäckel einzahlt wie in die Tasche des Händlers.
Die amerikanischen Medien und Hollywood haben Al Capone und die anderen Mafiabosse, die während der Prohibitionszeit zu Ruhm und riesigen Vermögen gelangten, in mythische Gestalten verwandelt. Die Gangster, die Cosa Nostra, die Fehden zwischen den verschiedenen herrschenden Mafia-Familien, deren weitreichende Beziehungen zum politischen Apparat und den Gewerkschaften in Amerika haben für Regisseure wie Coppola und Scorsese nichts von ihrer Faszination eingebüÃt und schlagen auf der ganzen Welt nach wie vor das Publikum in ihren Bann. Auch die indische Mafia dürfte sich an der Prohibition dumm und dämlich verdient haben. Doch glücklicherweise blieb die Prohibitionssaga in Indien das, was sie immer war: eine schäbige, schmierige, schmutzige Geschichte.
Das alles hat sich allerdings geändert. Sowohl die indischen Medien als auch Bollywood haben entdeckt, dass nicht nur das Verbrechen, sondern auch dessen journalistische oder filmische Aufbereitung sich auszahlen, da das Publikum nie müde wird, Paten und deren ruchlose Aktivitäten zu romantisieren.
Wie in vielen anderen Staaten auch, die versucht haben, die Prohibition durchzusetzen, hat sich das Experiment als ein schmutziges Kapitel in der Geschichte des unabhängigen Indien erwiesen. Fortgeschrieben wird es in Gandhi-jis Heimatstaat Gujarat. Nichts bringt in Gujarat so viel Geld ein, wie verbotener Alkohol. Ausländer können in Fünf-Sterne-Hotels einfach gegen Vorlage ihres Reisepasses Drinks bekommen. Ahmedabad, die Hauptstadt Gujarats, hat noch einen draufgesetzt. Kaum gelandet, können sich Ausländer, zu ihnen werden auch Auslandsinder gerechnet, noch auf dem Flughafen eine Alkohollizenz ausstellen lassen.
Es ist eine faszinierende und gleichzeitig müÃige Frage, wie der Mahatma reagiert hätte,
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