Die Statisten - Roman
Tanzes ihren zwei Filmverehrern zu: âLasst es uns machen. Gehen wir aufs Ganze!â
Als die Szene endlich im Kasten war, war es halb drei Uhr nachts. Sie teilten sich ein Taxi nach Hause, aber Eddie sagte, er hätte noch etwas zu erledigen und müsste an der Kreuzung vor den CWD -Chawls aussteigen. Ravan erhob keine Einwände dagegen. Er wusste, dass seine Mutter an ihrem Fenster auf ihn warten würde. Eddies Mutter auf ihren Sohn vielleicht auch.
âWas ist mit morgen? Drehbeginn ist um halb neun.â
Eddie zögerte. âWir sehen uns im Studio.â
Es war Divali, und Parvati-bai hatte sich einen neuen Sari gekauft, nur dass es diesmal wieder der traditionelle Acht-Meter-Sari war, statt des fünf Meter langen, den sie seit ihrer Ankunft in Bombay vor vielen Jahren ausschlieÃlich trug. Es war zwar sehr die Frage, ob sie Gelegenheit haben würde, ihren neuen Sari noch mehr als ein paarmal im Leben zu tragen, aber Parvati-bai fand, dass die Wichtigkeit dessen, was sie heute vorhatte, nach etwas entsprechend Gewichtigem und Besonderem verlangte.
Divali â oder Dipavali, wenn es etwas vornehmer klingen sollte â war ihr Lieblingsfest. Sie liebte seine Bedeutung: den Sieg des Guten über das Böse, des Lichts über die Finsternis. Es war eine Ironie des Schicksals, dass beide Protagonisten des Festes â Ram und Ravan â eine so enge Beziehung zu ihrem Sohn hatten. Die Urfassung der Geschichte um die beiden Rivalen hatte der Dichter Valmiki in seinem Versepos Ramayana geschildert, und sie war seither in Tempeln, Klassenzimmern, Volksmärchen, unzähligen Theaterstücken und, seit der Erfindung der Kinematographie, in zahllosen Filmen und vor allem seit Jahrhunderten von jeder GroÃmutter ihren Enkeln nacherzählt worden. Der Sieg Rams, des Rechtschaffensten unter den Menschen und Göttern, über den zehnköpfigen Dämonenkönig Ravan, war zum wichtigsten religiösen Fest des Subkontinents geworden.
Während Ravans Kindheit hatte Parvati-bai, wie jede andere Hausfrau in den vier unteren, hinduistischen Stockwerken der CWD -Chawls, komplizierte geometrische Muster vor ihrer Wohnungstür gezeichnet, indem sie zwischen Daumen und Zeigefinger weiÃes rangoli -Pulver rieseln lieà und die Zwischenräume dann mit verschiedenen Farben ausfüllte. Sie stellte tönerne Ãllämpchen auf die Fensterbank und rings um die Rangoli-Muster. Sie weckte Ravan an dhantrayodashi , dem ersten Tag des Festes, um fünf Uhr früh, rieb ihn mit Sandelpaste ein, wusch ihn mit warmem Wasser und zog ihm brandneue Sachen an. War das erledigt, schickte sie ihn mit Tellern voll selbst gemachter süÃer und pikanter Leckereien zu den Nachbarinnen, und sie wiederum würden das vorbeischicken, was sie eigens für diesen Freudentag zubereitet hatten: den Tag, an dem Ram, nachdem er Ravan in der Schlacht getötet hatte, in seine Heimatstadt und königliche Residenz Ayodhya zurückkehrte. Und am Abend, als sie die bunte Papierlaterne, die vor ihrem Fenster hing, angesteckt hatte, zündete sie, wie alle hinduistischen Eltern in den Chawls, Wunderkerzen an und drückte sie dann Ravan und seinen Freunden in die Hand, damit sie sie vergnügt durch die Luft schwenkten. Damals war es wirklich ein Lichterfest gewesen, genau wie der Name es besagte.
Aber das war einmal. Das Licht â zumindest in Form der schönen altmodischen Tonlampen â hatte das Fest verlassen und war durch Trommelfell zerfetzende Knallfrösche und jene immer wieder verbotenen, aber allerorts erhältlichen tödlichen Monster ersetzt worden, die, nicht ganz handgranatengroÃ, den treffenden Namen âAtombombeâ trugen und durch ihre Detonation ebenso den Erdball zu sprengen wie den Verstand sämtlicher Umstehender zersplittern zu lassen schienen. So wie das Ganesh-Fest war inzwischen auch Divali vom erznationalistischen Maaiboli Sangh vereinnahmt worden. Statt tausenderlei verschiedener Papierlaternen hatte nun jeder Hindu-Haushalt in den CWD -Chawls â mit Ausnahme der Pawars aus dem vierten Stock â die ockerfarbene Fahne und Laterne des Maaiboli Sangh vor dem Fenster hängen. Jedes religiöse Fest bot die Gelegenheit zum Begaunern und Schröpfen von Ladenbesitzern und Anwohnern im Namen der Hindu-Kultur.
Um zehn war Parvati-bai mit Kochen fertig; sie füllte die Henkelmänner ihrer Kunden und stellte sie zum Abholen vor die
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