Die Statisten - Roman
war nicht real, das konnte nicht sein, das war platterdings unmöglich. Es konnte, nein, es durfte nicht sein, dass sie mit der Einmaligen und Unvergleichlichen, mit der Königin des Tanzes, mit keiner anderen als Helen sprachen! Nicht nur das â sie hatten sie ganz für sich allein! Helen. Sie war die Ausnahmeerscheinung auf der Leinwand. Sie war keine und würde nie eine romantische Heldin sein, geschweige denn ein Superstar. Sie hatte sich ihre eigene, einzigartige Nische geschaffen. Jede neue Generation würde neue Stars und neue Sexbomben produzieren, die, mehr oder weniger aufreizend an- oder besser gesagt ausgezogen, die üblichen schwül-heiÃen Nummern aufs Parkett legten. Der Hindi-Film konnte ohne die Institution der âBajadereâ â egal, wie sie im Einzelnen genannt werden mochte: Vamp, Gangster-Molly, Schnalle, tavaif , Tanzmädchen, Mätresse, âdie Andereâ oder wie auch immer â schlicht nicht überleben. Aber es würde immer nur eine Helen geben.
Wie hieà sie wirklich? Hatte ihre Mutter sie nach der Prinzessin aus Sparta genannt, die mit Paris durchgebrannt war und diese legendäre Schiffsflotte mobilisiert hatte? Wer wusste das schon, und was spielte es auch für eine Rolle? Es war fraglich, ob sie auch nur ein einziges Segelboot aufs Meer gelockt hätte, aber hey â keine brachte 750 Millionen Inder dazu, nach ihrer Pfeife zu tanzen wie Helen! Sie war ein Wasserkobold, knochenlos und geschmeidig. Sie war, groÃzügig geschätzt, nur so groà wie eine Parkuhr. Sie schien nie die FüÃe zu bewegen, sie glitt dahin wie eine Welle. Sie wand, schlängelte, ringelte sich, sie knäuelte und entknäuelte sich. Sie war ganz Hüftschwung und sinnlicher Schmollmund, sie war Sex-Appeal hoch sechstausend, sie war jeden Mannes feuchter Traum und doch niemals vulgär. Sie war die Quintessenz des Widerspruchs in sich: Sie trug auf der Leinwand ein Minimum an Textilien, doch selbst der Prüdeste hätte sie nicht für unanständig gehalten. Sie konnte am helllichten Tag auf der StraÃe laufen, und schon nach wenigen Sekunden umschwärmten sie Tausende, doch kein Einziger hätte es gewagt, sie zu berühren oder unflätige Bemerkungen über sie zu machen.
Während Ravan noch rätselte, wie er der einmaligen Helen seinen seltsamen Namen verraten sollte, platzte Eddie heraus: âDas da ist Ravan, und ich heiÃe Eddie!â
âHallo, Eddie, und hallo, Ravan! Wollen wir mit ein paar Aufwärmübungen anfangen, solange Natkhatlal mit seinem Drink beschäftigt ist â zehn Tropfen Limettensaft, die, wie er sich einbildet, eine Handbreit Wodka übertönen werden? Schaut mir einfach zu und machtâs mir nach!â
Ravan und Eddie wussten nicht, wo sie ihre Anzüge hinhängen sollten. âIst schon okay. Legt sie einfach auf meinen Morgenmantel. So zerknittern sie nicht. Fertig? Hier ist der Rhythmus. Erst langsam: eins, zwei, drei, vier, gefolgt von einem flotten Eins-zwei-drei. Eins, zwei, drei, vier; eins-zwei-drei. Eins, zwei, drei, vier; eins-zwei-drei. Machtâs mir einfach nach. Eins, zwei, drei, vier; eins-zwei-drei; springt so hoch ihr könnt in die Luft. Und wenn ihrâs schafft, macht in der Luft einen Spagat. Landet auf den FüÃen. Eins, zwei, drei, vier; eins-zwei-drei.â
Und genau das machten Ravan und Eddie. Sie ahmten jede ihrer Bewegungen nach. Sie hoben ab, schwebten wie in Trance; machten einfache, doppelte und dreifache Spagate, in der Luft und auf dem Boden. Sie legte eine Pause ein und sagte: âIhr habt mich angeschwindelt, stimmtâs? Ihr seid Profis!â Und Eddie lachte und erwiderte: âNein. Ich turne am Malkhamb, schon seit meiner Kindheit.â
âUnd ich mach Taekwondoâ, fügte Ravan hinzu.
âNa, kein Wunder.â Sie schaltete das Tonbandgerät ein. Aus den Lautsprechern drang ein gedämpftes, aber beharrliches Pochen von Urwaldtrommeln. Dhup, dhup, dhup, dhup. Dhupdhupdhup. Dhup, dhup, dhup, dhup. Dhupdhupdhup. Dhup, dhup, dhup, dhup. Dhupdhupdhup. Und dann fiel eine rauchige, verführerische Stimme in das Getrommel ein: âBlack and white. Black and white. Who can tell whoâs Mr Right? Is it Mr Black? Or is it Mr White?â Sie drückte die Pausetaste.
âJetzt wisst ihr, worum es bei dem Tanz geht: um die Liebe und darum, den richtigen Partner fürs Leben zu finden. Ihr beide
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