Die Statisten - Roman
Festung Janjira, gut sechzig Kilometer südlich von Bombay, und saÃen jetzt, während der Mittagspause, am felsigen Ufer. Eddie hatte, wie so häufig zuletzt, den Anwesenheitsappell geschwänzt, und ein anderer war froh gewesen, seinen Platz einzunehmen.
âEs ist ein Geschenk, das du hoffentlich nie brauchen wirst.â
âIch verstehe nicht ganz.â
âEs ist ein Taser, ein Elektroschockgerät, das jeden Angreifer flachlegt, egal wie stark oder groà er ist.â
âDieses kleine Ding? Du machst wohl Witze!â
Ravan schüttelte den Kopf. âMach ich nicht. In den USA benutzen es Polizei und Militär. Darin ist eine elektrische Ladung gespeichert, die laut Herstellerangabe das neuromuskuläre System des Verdächtigen lahmlegt, wodurch er vorübergehend paralysiert ist.â
Asmaan schaute das Gerät ungläubig an. âDas Fachchinesisch interessiert mich nicht. Ich wusste nicht, dass man hier so was kaufen kann.â
âKann man auch nicht, jedenfalls nicht legal. Aber wenn man im Fort Area die richtigen Händler kennt, kann man so ziemlich alles bekommen.â
âWie zum Teufel funktioniert das Ding?â
Sie fummelte daran herum, versuchte es zu öffnen.
âAsmaan, du kannst einen Taser nicht testen! Das ist â¦â Ravan versuchte, ihr den Apparat aus der Hand zu reiÃen, aber da bekam die Welt um ihn herum einen Filmriss. Er schrie vor Schmerz auf, und sein Körper geriet völlig auÃer Kontrolle. Sein Mund veranstaltete seltsame Dinge, und seine Augäpfel waren nach innen gerollt. Asmaan sah ihn entsetzt an.
âOh Gott, oh Gott, was hab ich getan? Ist alles in Ordnung, Ravan?â
Sie versuchte, ihn zu stützen, aber eine Serie von krampfhaften Muskelzuckungen verdrehte ihm unentwegt Arme und Beine, als habe er keine Knochen im Leib. Er schien Asmaan nicht zu erkennen und versuchte, in seiner Verwirrung aufzustehen. Er schwankte vor und zurück und nach beiden Seiten. Sie wollte ihn packen, aber er fiel, fiel wie in Zeitlupe, und schlug mit dem Kopf gegen einen Felsen. Reglos blieb er liegen. âHilfe! Helft mir!â, schrie Asmaan, auÃer sich vor Angst. Aber es war niemand in der Nähe. Sie war sicher, dass Ravan tot war. Dennoch öffnete sie ihre Handtasche und tat, was die Leute in den Filmen immer tun: Sie hielt ihm einen Spiegel unter die Nase. Das Glas beschlug. Er mochte ohnmächtig sein, aber tot war er zumindest nicht. Sie spritzte ihm Wasser aus ihrer Wasserflasche ins Gesicht, aber das belebte ihn nicht wieder.
Sie lief zurück, bis sie ein paar Statisten beim Kartenspielen fand. Gemeinsam hoben sie Ravan auf und trugen ihn in den Schatten eines Baumes. Er blutete am Hinterkopf, jedoch nicht stark. Minuten vergingen; weitere Statisten kamen dazu, versuchten, ihn wach zu bekommen, und machten allerlei Vorschläge.
Irgendwann tauchte der Regisseur auf. âEr atmet. Das ist ein gutes Zeichenâ, sagte er unbeholfen. âVielleicht braucht er nur ein wenig Ruhe, und dann ist alles wieder in Ordnung.â
âDarf ich mir den Bus ausleihen, um ihn nach Panvel ins Krankenhaus zu fahren?â, fragte Asmaan ihn. âIm Umkreis von zehn, zwölf Kilometern ist kein Taxi zu bekommen, nicht mal eine Motorrikscha.â
âWir haben noch vier Einstellungen zu drehen, alle an verschiedenen Locations hier auf der Insel. Wir brauchen den Bus für die Crew.â
Die nächsten Stunden konnte Asmaan nichts anderes tun als, auf dem Boden sitzend, Ravan in den Armen zu halten, seine Stirn zu küssen und wieder und wieder dieselben Sätze zu flüstern: âOh Gott, es tut mir so leid! Ich wollte dich nicht verletzen! Ich hatte doch keine Ahnung, wie stark das Ding wirkt! Stirb mir bloà nicht, Ravan, bitte! Bitte, komm zurück! Ich liebe dich!â Sie strich ihm mit den Lippen leicht über den Mund. âSprich mit mir, Ravan! Tu mir das nicht an! Wenn ich dir nur Leben einhauchen könnte! Wir haben selten Zeit füreinander, du und ich. Eddie ist wie ein Kind. Er kann schwierig sein, wenn er da ist, will er immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Aber das weiÃt du ja.â
Es war Abend, als Ravan das Bewusstsein, zumindest halbwegs, wiedererlangte. Während der Rückfahrt im Bus wurde Asmaan immer verzweifelter und wollte ihn ins Krankenhaus bringen, aber er schüttelte den Kopf und wollte nichts davon hören. Sie brachte ihn
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