Die Statisten - Roman
Kunstgebiss.
âAlle Götter zusammengenommen werden diese Hochzeit nicht verhindern!â, sagte Mr Patil verächtlich. âÃber die Schäden unterhalten wir uns später.â
Ravan fragte sich, ob Sintfluten ihm im Allgemeinen Glück brachten. Als er zuletzt, damals noch ein Junge, in einen solchen Wolkenbruch geraten war, hatte er seinen Taekwondo-Meister, Mr Billimoria, kennengelernt. Und jetzt deutete Mr Patil an, ihm das Xylophon erstatten zu wollen. Das Musikinstrument war nicht direkt neu â eher aus vierter oder fünfter Hand. Doch das würde er Mr Patil bestimmt nicht auf die Nase binden. Er hatte keine Ahnung, wie viel ein brandneues Xylophon kostete, aber mit weniger würde er sich nicht zufriedengeben.
Der Himmel klarte auf und der Regen lieà nach. Wie konnte in einer so kurzen Zeit eine solche Verwüstung angerichtet werden? Mr Patils Zuversicht war schier unglaublich. Ravans Ehrfurcht vor dem Brautvater grenzte geradezu an Angst. Sah man vom Haus ab, war nahezu nichts stehen geblieben. Die Götter hatten gesprochen. Sie wünschten nicht, dass diese Hochzeit vollzogen wurde. In Mr Patils Lage wären die meisten Männer verzweifelt und hätten die Flinte ins Korn geworfen, aber nicht so dieser Patriarch. Seine Macht, oder die Macht seines Geldes, war nicht zu unterschätzen. Er konnte offensichtlich die Götter kaufen oder, wenn nötig, sie einfach ignorieren.
Ravan musste sich überlegen, wie er das Xylophon in den nächsten drei Stunden wieder einsatzbereit bekommen sollte. Doch er hatte noch dringlichere Sorgen. Der Wind war kalt, und seine Blase stand kurz davor zu platzen. Er hatte sich nicht mehr erleichtert, seit er Bombay verlassen hatte. Parvati-bai hatte ihn zwar wiederholt aufgefordert, aufs Klo zu gehen, bevor er aus dem Haus ging, aber er wollte ihr beweisen, dass er kein Kind mehr war und selbst auf sich aufpassen konnte. Jetzt lernte er, dass er kein Kind mehr war, sondern peinlicher noch, ein Säugling. Er wollte schon in die Hose machen â niemand würde es merken, und der Regen würde alles wegspülen. Aber was, wenn Mr Patil zurückkäme und die zusätzliche, gelbe Pfütze sähe, die unter ihm immer gröÃer wurde? Und selbst wenn er sie nicht sähe, riechen würde er die frische sprudelnde Pisse mit Sicherheit. Ravan trat immer wieder von einem Fuà auf den anderen, ballte und öffnete die Fäuste, krampfte sämtliche SchlieÃmuskeln und knirschte mit den Zähnen, doch vergebens. Noch ehe er seine Rohrleitungen wieder halbwegs unter Kontrolle bringen konnte, waren drei Tropfen entwichen.
Die Leute strömten wieder aus dem Haus, und Mr Patil und sein Sohn beaufsichtigten schon den Wiederaufbau des Shamiyana. Ravan musste eigentlich schleunigst den Rest der Kapelle ausfindig machen und feststellen, in was für einem Zustand sich ihre Instrumente befanden, aber er schlug schnurstracks den Weg zum Obstgarten ein. Nach den ersten zehn gemäÃigten Schritten gab er jede Verstellung auf und rannte verzweifelt los. Der Boden war matschig und mit Pfützen übersät, und seine Hosenbeine waren inzwischen mit Schlamm und Dreck besprenkelt. Er hätte auf seine Mutter hören sollen, statt ein solcher KlugscheiÃer zu sein. Verdammt, bis zu dieser Baumgruppe war es noch immer ein ziemliches Stück! Noch wäre er vom Haus und dem Shamiyana aus gut zu sehen gewesen. Nur noch ein paar Meter, bitte, Shiva, Vishnu , Rama, Krishna und Dattatreya , ich kaufe euch Blumen, sobald ich wieder zu Hause bin, aber das ist ein echter Notfall: Würdet ihr bitte bewirken, dass diese gottverdammte Blase noch ein paar Sekunden dicht hält? Er sprang über umgestürzte Baumstämme, Mist, sein Auslaufventil tröpfelte schon. Er war zwischen den Bäumen, noch zehn Schritte, um ganz sicher zu gehen, endlich hatte er den brennenden Baum erreicht, riss seinen Hosenstall auf und hockte sich hin.
Es war die zweite Sintflut. Nicht die leiseste Chance, dass diese Hochzeit noch stattfand; diesmal würde dieses ganze Herrenhaus aus Ziegel, Stein und Mörtel in den Fluten untergehen. Oh Gott, war irgendeine Erleichterung, irgendein Genuss auf Erden gröÃer, als einer zum Platzen prallen Blase das Schleusentor zu öffnen? Der Baum war gelöscht, schwelte aber noch. Kein Blatt war mehr daran, übrig geblieben war lediglich ein graupudriger Schaft mit drei verkohlten
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