Die Staufer und ihre Zeit
Herrn heimgesucht, und sein Herz wurde von solcher Freudigkeit erfüllt, dass er weder sprechen noch sich rühren konnte«, notierte ein Chronist später.
Nach und nach entsagte der junge Francesco fortan allem irdischen Reichtum, brach mit seiner wohlhabenden Familie und zog in einer einfachen Kutte als Wanderprediger durch das Land – wie Jesus einst, in Armut und Demut. Was er zum Leben brauchte, erbettelte er von Gläubigen, was übrig war, teilte er mit Armen und Kranken. Unterschiedslos sah er alle als Bruder oder Schwester an, niemand, so forderte er, sollte über dem anderen stehen. Er warb für Frieden und Friedfertigkeit, und selbst die Tiere lauschten seinen Worten.
So geht die Legende von der Erweckung jenes Mannes aus Umbrien, der als heiliger Franziskus (oder Franz) von Assisi weltweit Berühmtheit erlangen sollte. Viele Geschichten und Erzählungen ranken sich um diese »gewiss bedeutendste Gestalt der christlichen Religionsgeschichte seit Jesus selbst«, wie der renommierte Franziskus-Forscher Helmut Feld findet.
Lehren und Leben des Mannes aus Assisi enthielten ein regelrecht »subversives, ein revolutionäres Element«, sagt Feld: »Wenn Franziskus von sich selbst, den Oberen des Ordens und den kirchlichen Amtsträgern die tiefste Selbstdemütigung verlangt, dann wird damit die hierarchische Struktur des Ordenswesens und der gesamten Kirche gewissermaßen konterkariert.«
Bis zum heutigen Tag sind Gläubige konfessionsübergreifend fasziniert von den Ideen und Idealen, die Franziskus Anfang des 13. Jahrhunderts verkündete und bis an den Rand der Selbstaufgabe auch vorzuleben suchte. Schon zu Lebzeiten strahlte sein Beispiel weit über Umbrien hinaus, bald folgten ihm vielerorts Jünger und schlossen sich seinem Orden an. Auch ähnliche Gemeinschaften hatten großen Zulauf. Eine mächtige Reformbewegung von Bettelmönchen formierte sich, die mit der Demonstration ihrer einfachen und friedfertigen Existenz die herrschenden Mächte in Staat und Klerus in Frage stellte.
Die Gesellschaft jener Tage befand sich vielerorts im Umbruch von bäuerlich dominierten Strukturen hin zu mehr städtischen Lebensformen. Das ging einher mit dramatischen Veränderungen in nahezu allen sozialen und wirtschaftlichen Bereichen. Manufakturen entstanden zur massenweisen Fertigung von Produkten. Der Handel blühte auf, die Geldwirtschaft entwickelte sich, und eine städtische, zunehmend selbstbewusste bürgerliche Oberschicht bildete sich aus.
Freier als zuvor widmete man sich den irdischen Freuden. Scheinbar in Stein gemeißelte Vorschriften und Verbote der Kirche wurden plötzlich in Frage gestellt, sicher geglaubte Gewissheiten gerieten ins Wanken. Mode, Minnesang, Pracht und Prunk verhießen – für jeden, der es sich leisten konnte – Vergnügen nicht erst im Jenseits. Für jene vielen anderen, die täglich um ihr Dasein kämpfen mussten oder am Rande der Gesellschaft vegetierten, waren das obszöne Provokationen.
Vor allem in den Städten spitzte sich der Gegensatz zwischen Arm und Reich zu, und die Kritik an der unfrommen und ausschweifenden Lebensweise der herrschenden Klassen wuchs. Es war ein fruchtbarer Boden für Armutsbewegungen und Bettelorden wie Franziskaner, Dominikaner, Augustiner, Serviten oder Karmeliter. Inspiriert und angeführt von charismatischen Persönlichkeiten, propagierten sie ein Leben voller Verzicht, Buße und Gottesfurcht. Hilfe für die Armen und Aussätzigen war ihnen so wichtig wie die Erniedrigung des eigenen Selbst – immer Jesus Christus und seine Apostel als Vorbild im Sinn. Viele beteten so exzessiv, dass sie sich in Stricke hängten, um nicht vor Erschöpfung umzufallen. Später wurden stützende Gerätschaften erfunden.
Wanderprediger, wie etwa der Kaufmann Petrus Valdès aus Lyon, auf den die Bewegung der Waldenser zurückgeht, wetterten wortgewaltig gegen Reichtum und Gewinnstreben. Auch Frauen taten sich zu eigenen Orden zusammen. Viele
der religiösen Gruppen einte ein schon wahnhafter Kampf wider menschliche Gelüste jeder Art. So rührte Franziskus etwa kaltes Wasser und Asche in seine Speisen, um sich den Geschmack zu verleiden. Und damit der Sexualtrieb im Griff blieb, riet er seinen Jüngern, sich mit Eiswasser, Tauen oder Dornen so lange zu traktieren, bis das verderbliche Fleisch (»carnis corruptela«) beruhigt war.
Bisweilen unterschieden sich die Orden nur durch Petitessen, etwa ob es Bettelmönchen gestattet sein sollte, Schuhe und Strümpfe zu tragen,
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