Die Steine der Fatima
weshalb der Bote Ali aufsuchte. Sekireh ging es schlecht. Die Mutter des Herrschers sei sehr schwach und könne das Bett nicht mehr verlassen. Sie leide unter starken Schmerzen. Niemand wisse, was ihr fehlte. Ali versprach dem Boten, so bald wie möglich in den Palast zu kommen, und der Diener verabschiedete sich. Kaum hatte Beatrice das Schließen der Tür vernommen, als sie auch schon in das Arbeitszimmer des Arztes trat. Sie hatte sich nicht einmal mehr die Zeit genommen, sich ordnungsgemäß zu verschleiern.
»Ich weiß, was Sekireh fehlt«, sagte sie bestimmt.
Ali fuhr wie von einem Tarantel gestochen auf. Sein Gesicht überzog sich mit flammender Röte. »Wie?«, rief er aus und sah vom lauter Ärger sogar über den fehlenden Schleier hinweg. »Du weißt nicht, wovon du redest, Weib! Woher willst du wissen, woran die Mutter des Herrschers erkrankt ist?«
Beatrice wurde ebenfalls wütend. Nur weil sie eine Frau war, sollte sie keine Ahnung von Medizin haben? Wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätte es vermutlich kein Gezeter gegeben. Ali hätte ihm ruhig und vernünftig zugehört. Wieso war diesem Kerl nur so arrogant und engstirnig?
»Ich sagte dir schon einmal, dass ich Ärztin bin«, erwiderte sie und duzte ihn diesmal auch. Er verdiente es nicht anders. »Ich habe die Heilkunde studiert wie du. Und ich habe Sekireh vor einigen Monaten selbst untersucht. Sie kam zu mir, weil sie Schmerzen im Rücken und in der Hüfte hatte. Bei der Untersuchung…«
»Sei endlich still!«, rief Ali und hielt sich die Ohren zu. »Ein Weib kann unmöglich über das Wissen verfügen, über das ich verfüge.«
Beatrice zitterte vor Zorn. Es juckte ihr in den Fingern, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Hätte es sich nicht um ihre Freundin gehandelt, hätte sie vermutlich auf dem Absatz kehrtgemacht und ohne ein weiteres Wort das Zimmer verlassen. Aber für Sekireh war sie bereit, ihre Wut und ihren Stolz zu vergessen.
»Was weißt du über Krebserkrankungen?«, fragte sie, und tatsächlich schien Ali neugierig zu werden. Er nahm die Hände herunter und sah sie an.
»Was meinst du damit?«
»Sekireh hat eine Krebsgeschwulst in der Brust – ich entdeckte sie bei jener Untersuchung. Diese Geschwulst hat in ihrem Körper bereits Tochtergeschwülste gebildet. Man nennt sie auch Metastasen. Die Metastasen haben ihre Knochen befallen, und deshalb hat sie die starken Schmerzen.«
Ali runzelte nachdenklich die Stirn. »Bist du sicher?«, fragte er und schien tatsächlich vergessen zu haben, dass er gerade mit einer Frau ein medizinisches Problem erörterte. »Und was kann man dagegen tun?«
»Selbst da, wo ich herkomme, sind die Therapiemöglichkeiten begrenzt. Aber hier…« Sie zuckte mit den Schultern. »Man kann nicht mehr tun, als zu versuchen, ihr die Schmerzen zu nehmen, damit sie nicht leiden muss.«
Ali rieb sich nachdenklich den Bart. »Ich habe ein Schmerzpulver, das sehr gut wirkt. Ich wende es sogar bei schweren Verletzungen an. Vielleicht kann man damit…«
»Handelt es sich um ein opiumhaltiges Pulver?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Ali mit einem nachsichtigen Lächeln. »Wer wäre so verwegen…«
Doch Beatrice schüttelte heftig den Kopf. »Dann wird dein Pulver nicht helfen«, unterbrach sie ihn. »Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es in diesem Stadium der Erkrankung nur ein wirksames Schmerzmittel gibt – und das ist Opium.«
Ali zuckte zusammen, als hätte ihn ein Schlag getroffen, er wurde kreidebleich im Gesicht. »Opium?«, stieß er entsetzt hervor und sah rasch hinter den Türen seines Arbeitszimmers nach, ob jemand in der Nähe war. Dann trat er dicht an Beatrice heran und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Weißt du Närrin eigentlich, was du da verlangst? Der Besitz und der Genuss von Opium sind verboten und werden schwer bestraft. Allein dass wir beide hier darüber reden, kann jedem von uns mindestens zwei Jahre Kerkerhaft einbringen, falls jemand davon erfahren sollte. Und selbst wenn ich unbemerkt Opium zu Sekireh schmuggeln und es ihr geben könnte, würde ich es nicht tun. Das Opium würde sie töten.«
»Glaube mir, das hat jetzt keine Bedeutung mehr.« Unwillkürlich hatte auch Beatrice begonnen zu flüstern. »Du kannst Sekireh nicht mehr retten, niemand kann das. Das Einzige, was wir für diese arme Frau noch tun können, ist, ihr einen menschenwürdigen Tod zu ermöglichen. Du hast es in der Hand. Entweder Sekireh stirbt unter fürchterlichen Qualen, oder aber sie
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