Die Steine der Fatima
über Jambalas und Jussufs Tod, und…«
»Jambala und Jussuf? Was ist passiert?«
Hannah seufzte. »Es ist eine schreckliche Geschichte, Herrin, glaubt mir«, sagte sie und schüttelte traurig den Kopf. »Ihr wisst doch, dass Jambala bestraft wurde, weil sie unverschleiert zu einer Zeit in die Halle gegangen ist, während der es den Frauen nicht erlaubt ist?«
»Ja, Nuh II. hat sie auspeitschen lassen. Aber…«
»Das war noch nicht alles.« Hannah presste die Lippen aufeinander. »Danach hat Nuh II. den Palastwachen… die Kerle durften sie… Es hat zwei volle Tage gedauert.«
Hannah schloss die Augen. »Als sie zurückkam, war kaum noch Leben in ihr. Sie hat stark geblutet. Vielleicht hättet Ihr sie noch retten können, Herrin. Aber so ist sie an ihren schweren Verletzungen gestorben.«
Beatrice wurde schwindlig angesichts dieser Grausamkeit. Wie konnte ein Mann einer Frau so etwas antun?
»Und Jussuf?«, fragte sie schwach.
»Der Emir hat ihn für Jambalas Verfehlung verantwortlich gemacht und ihn zur Strafe seines Amtes enthoben. Er sollte fortan in der Küche niedere Dienste tun. Jussuf hat sich daraufhin in sein Schwert gestürzt.« Hannah lächelte grimmig. »Wenigstens tat er es direkt vor Nuhs Augen. Und ich bete zu Allah, dass dieser grausame Tyrann für einen kurzen Moment geglaubt hat, Jussuf würde ihn töten wollen und nicht sich selbst.«
Sie waren mittlerweile an der mit einem hölzernen Gitter versehenen Tür angekommen, die den Harem vom übrigen Palast trennte.
»Wenn Ihr hier gewesen wäret, wären Jambala und Jussuf noch am Leben. Ihr hättet einen Weg gewusst, die beiden zu retten, da bin ich mir sicher.« Hannah seufzte. »Die anderen Frauen denken ebenso wie ich. Sie geben Mirwat die Schuld. Sie war es, die Nuh II. empfohlen hat, Euch aus dem Harem zu entfernen. Ihr hättet die Lügen und Bosheiten hören sollen, die sie danach über Euch verbreitet hat, Herrin. Doch die anderen Frauen haben ihr kein Gehör geschenkt. Inzwischen lebt sie völlig zurückgezogen, kaum jemand bekommt sie zu Gesicht. Sie scheint keinem Menschen mehr zu vertrauen. Vielleicht plagt sie ihr Gewissen. Das kann ich ihr nur wünschen, andernfalls wird nämlich Allah sie eines Tages richten.«
An den darauffolgenden Tagen besuchten Ali und Beatrice Sekireh regelmäßig. Meistens lag die alte Frau regungslos auf ihrem Bett, nur selten war sie bei Bewusstsein und sprach einige wenige kaum verständliche Worte. Doch wenigstens hatte sie keine Schmerzen mehr. Beatrice zeigte Hannah, mit welchen einfachen Mitteln die Dienerin verhindern konnte, dass ihre Herrin sich wund lag. Ansonsten konnte sie nur noch zusehen, wie Sekireh langsam starb. Von Mal zu Mal wurden die Atemzüge der alten Frau unregelmäßiger. Sie wurde immer dünner und durchsichtiger, sie schwand förmlich dahin. Eines Tages würde Sekireh sich vollständig in Luft aufgelöst haben.
Schließlich war es so weit. Es war noch früh am Morgen, genau eine Woche, nachdem sie Sekireh zum ersten Mal Opium gegeben hatten. Ali und Beatrice hatten noch vor dem Morgengebet das Haus verlassen. Die Luft war kühl, ein erster Vorbote des Winters, aber ein leichter warmer Wind strich durch die Gassen wie eine tröstende, barmherzige Hand. Als sie dann Hannah sah, wusste Beatrice sofort, dass es vorbei war. Die Dienerin hatte rot geweinte Augen, aber sie lächelte, als sie Beatrice und Ali begrüßte.
»Ist Sekireh…«
»Ja, Herrin«, beantwortete Hannah die Frage, noch bevor sie ausgesprochen wurde. »Es war, wie Ihr gesagt habt. Sie ist heute Nacht friedlich eingeschlafen, ohne Schmerzen.«
Hannah ließ Beatrice an sich vorbei ins Zimmer treten. Die Vorhänge waren zurückgezogen und ein Fensterladen stand offen. Der warme Wind wehte ins Zimmer und bauschte die Vorhänge, und die aufgehende Sonne warf ihr blassgoldenes Licht auf die reglose Gestalt. Auf Zehenspitzen schlich Beatrice zum Bett. Sekireh lag auf dem Rücken. Sie trug ein schneeweißes Gewand, die knochigen Hände waren auf dem Brustkorb gefaltet. Hannah hatte ihr das lange graue Haar sorgfältig gekämmt und zu einem Zopf geflochten. Der Tod hatte die Erinnerung an Härte und Schmerzen aus ihrem Gesicht weggewischt, auf ihren Lippen lag ein kleines Lächeln. Sekireh sah aus, als schliefe sie.
Nur die Magerkeit ihrer Gestalt und die fahle Blässe ihrer Haut ließen erahnen, dass es ein Schlaf ohne Erwachen in dieser Welt war.
Schlafes Bruder, dachte Beatrice und begriff zum ersten Mal die
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