Die Steine der Fatima
Wolle. Seit Beatrice in Buchara war, hatte sie noch nie einen freien Mann ohne Kopfbedeckung gesehen. Turban oder Fez gehörten zum Bild eines Mannes fast untrennbar dazu. Doch dieser hier trug seine langen schwarzen Haare unbedeckt und im Nacken zusammengebunden. Außerdem war sein Gesicht glatt rasiert – ein Skandal und eine Schande für jeden anständigen Bürger Bucharas. Aber was konnte dieser Mann sein, wenn er weder Bürger noch Diener war? War er ein Dieb, ein Pirat – oder ein Sklavenhändler? Vielleicht. Doch war dies das Gesicht eines Schurken? Die Feder glitt so leicht und geräuschlos über das Papier, als würde sie nicht von Menschenhand geführt. Er sah nicht einmal auf, um die Feder in das goldene Tintenfass zu tauchen, das vor ihm auf dem Tisch stand. Schließlich schien er sein Schreiben beendet zu haben und warf eine Handvoll feinen Sand aus einer Kupferschale zum Trocknen der Tinte auf das Papier und blies dann den Sand fort. Er erhob sich, ging einmal quer durch das Zelt und reichte jemandem, den Beatrice nicht sah, das Schreiben.
»Jetzt können wir reden«, sagte er, als er zurückkam und sich auf ein Sitzpolster gegenüber Beatrice niederließ. »Guten Morgen.« Er winkte mit der Hand vor Beatrices Augen, als er merkte, dass sie nicht reagierte. »Bist du noch nicht richtig wach, oder pflegst du immer so in den Tag hineinzuträumen?«
Beatrice zuckte zusammen und ertappte sich dabei, dass sie die ganze Zeit voller Faszination auf seine Hände gestarrt hatte. Er hatte die Ärmel seines Hemds hochgeschoben, wie es Chirurgen gern taten. Es waren schlanke, wohlgeformte Hände mit schönen Fingern, an denen zwei breite silberne Ringe steckten. Und seine Handgelenke waren schmal, geschmückt von schweren silbernen Armreifen. Beatrice hatte eine Schwäche für schöne Hände. Vielleicht lag es daran, dass sie als Chirurgin, bedingt durch die Operationen, öfter die Hände ihrer Kollegen sah als ihre Gesichter. Unwillkürlich stellte sie sich die Hände des jungen Mannes in Handschuhen vor. Doch gleichzeitig wurde sie wegen des Spottes in seiner Stimme erneut zornig. Was fiel diesem unverschämten Kerl ein, sie zuerst zu entführen und sich dann auch noch über sie lustig zu machen?
»Wenn man mitten in der Nacht aus seinem Zimmer entführt, betäubt und verschleppt wird, darf man wohl ein wenig verwirrt und etwas unkonzentriert sein, oder?«
Er neigte seinen Kopf und führte die Hand zum Mund und zur Stirn. »Verzeiht, edle Dame, Ihr beschämt mich. Aber Eure Rüge ist durchaus berechtigt.« Er lächelte, und seine makellosen weißen Zähne schimmerten wie eine Reihe vollkommener Perlen. »Ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Saddin. Und falls Ihr Unannehmlichkeiten erdulden musstet, so bitte ich Euch dafür um Vergebung. Leider hatte ich keine andere Möglichkeit, als Euch zu betäuben. Aber ich verspreche Euch, dass ich von jetzt an Euren Aufenthalt in meinem Heim so angenehm wie möglich gestalten werde.«
Beatrice runzelte die Stirn. Eigentlich wollte sie immer noch wütend sein, aber dieser Saddin machte es ihr unmöglich. Der Kerl war nicht nur frech, er verfügte auch über das angenehmste Lächeln, das sie je bei einem Mann gesehen hatte. Beatrice räusperte sich und gab sich Mühe, immer noch missmutig zu wirken.
»Also weshalb bin ich hier?«
Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Nur ein kleiner Rest dieses Lächelns blieb an einem seiner Mundwinkel hängen.
»Hier ist der Grund«, antwortete er und hielt plötzlich zwischen Zeigefinger und Daumen einen Saphir – den Stein der Fatima! Dieser Kerl hatte ihre Kleider durchsucht. Aber woher hatte er von dem Stein gewusst? »Es gibt jemanden in Buchara, der diesen Stein um jeden Preis der Welt in seinen Besitz bringen will. Von ihm erhielt ich den Auftrag, den Stein zu suchen und dich zu töten.«
Beatrice schnappte nach Luft. Ihre Kehle war auf einmal wie zugeschnürt und erinnerte sie an die Todesangst, die sie in der Nacht verspürt hatte.
»Und warum hast du deine Mission dann nicht gleich in der Nacht erfüllt?«, fragte sie und stellte fest, dass sie neben ihrer Angst hauptsächlich enttäuscht war. Enttäuscht und wütend. Dieser Kerl hätte sie fast mit seinem Charme eingewickelt. Aber hinter dem unwiderstehlichen Lächeln war er nichts weiter als ein gedungener Mörder. »Du hattest doch die Gelegenheit. Statt mir zuerst ein Betäubungsmittel einzuflößen, hättest du gleich richtiges Gift nehmen können.
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