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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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wäre an deiner Stelle.« Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. »Ich verspreche dir, dass ich dich schnell töten werde. Du wirst nichts spüren, keinen Schmerz.«
    »Wann?«
    Er seufzte. »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht morgen, vielleicht auch später.«
    »Und bis dahin?«
    Saddin strich ihr zärtlich über das Gesicht und küsste sie so sanft, dass sie die Berührung seiner Lippen kaum spürte. »Bis dahin werden wir die Zeit nutzen, die uns noch bleibt. Wir werden uns lieben und Allah um ein Wunder bitten. Und wer weiß, vielleicht ist Er gütig und gewährt es uns.«

    Ali saß in seinem Arbeitszimmer, vor ihm auf dem Tisch lag aufgeschlagen das Buch von Abu Nasr al-Farabi. Mit leerem Blick starrte er auf die fein geschwungene Schrift. Seit mindestens einer Stunde saß er hier, seit mindestens einer Stunde hatte er nicht ein Wort gelesen. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Zu sehr waren seine Gedanken bei Beatrice. Wo war sie? War ihr etwas zugestoßen? Hatte man sie etwa…
    Die Tür ging auf, und Ali fuhr wie vom Blitz getroffen hoch.
    »Selim!« Er schrie seinen Diener förmlich an, Angst und Hoffnung hielten einander die Waage. »Was ist? Habt ihr sie gefunden?«
    »Nein, Herr.« Der alte Diener schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir haben überall gesucht und in allen benachbarten Häusern nach ihr gefragt. Niemand hat die Herrin gesehen.«
    »Aber das kann doch nicht wahr sein!«, rief Ali aufgebracht aus. »Jemand muss sie doch gesehen haben! Eine Frau kann sich doch nicht einfach in Luft auflösen.« Er begann ruhelos im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ich muss etwas tun, irgendetwas. Es muss doch eine Möglichkeit geben, sie zu finden. Ich…« Er blieb abrupt stehen und packte Selim am Ausschnitt seines Gewands.
    »Wo ist die Taube?«
    Der alte Diener starrte ihn verwundert an. »Taube? Welche Taube, Herr?«
    »Beim Barte des Propheten, die Taube! Dieses graue Vieh, das ich vor einiger Zeit in einem Käfig von einem Hausbesuch mitgebracht habe.«
    »Ach so, Ihr meint…«
    »Genau die!«, unterbrach Ali seinen Diener ungeduldig. »Bring sie mir sofort her.«
    Selim warf seinem Herrn einen mitleidigen Blick zu und machte sich auf den Weg. Vermutlich glaubte der Alte, dass der Schmerz über den Verlust Beatrices ihm den Verstand geraubt hatte. Sollte er daran glauben. Selim wusste nichts von der Bedeutung der Taube, und so sollte es auch bleiben.
    Nur kurze Zeit später kam der Diener mit dem Vogelkäfig zurück.
    »Nun lass mich allein!«, herrschte er den Alten an.
    Sobald Selim die Tür hinter sich geschlossen hatte, setzte Ali sich an seinen Schreibtisch und kritzelte hastig eine kurze Nachricht. Er wollte Saddin gleich morgen früh nach dem Morgengebet sprechen. Der Nomade war vielleicht der einzige Mann in Buchara, der in der Lage war, Beatrice zu finden. Ali band die Nachricht der Taube ans Bein und ließ sie aus dem Fenster fliegen. Er wusste zwar nicht, wie er die Wartezeit bis zum nächsten Morgen überstehen sollte, aber wenn er Beatrice dadurch wiederbekam, war er bereit zu warten. Wenn es sein musste auch ein ganzes Jahr.

    Als Ali jedoch am nächsten Morgen auf Saddin wartete, war er sich nicht mehr sicher, das Richtige getan zu haben. Schon seit Stunden, so schien es ihm wenigstens, wartete er vergeblich. Er kam sich vor wie ein alter Narr. Nutzlos, mit einer Kapuze über dem Kopf, stand er herum. Ja, er war viel zu früh gewesen. Die Morgendämmerung hatte noch nicht einmal begonnen, als er an das Tor des Schreibers geklopft hatte. Aber war das ein Grund, ihn so ungebührlich lange warten zu lassen? Ali versuchte mit zwei Fingern, die Schnüre an seinem Hals ein wenig zu lockern. Ihm war heiß, der Schweiß lief ihm über das Gesicht, und der grobe Stoff der Kapuze juckte auf seiner Haut. Selbstverständlich hätte er die Knoten ohne Weiteres eigenhändig lösen können, aber man hatte ihn davor gewarnt. Er solle die Kapuze nicht eher wieder abnehmen, bis ihm die Erlaubnis erteilt werde. Es war erniedrigend, so blind und hilflos dazustehen. Dennoch wagte Ali es nicht, sich über dieses Verbot hinwegzusetzen. Endlich drang die klare Stimme des Muezzin zu ihm, und nur wenig später hörte er das Öffnen und Schließen einer Tür. Leichte Schritte näherten sich ihm.
    »Nehmt die Kapuze ab«, forderte ihn eine angenehme Stimme auf.
    Das ließ Ali sich nicht zweimal sagen. Hastig zerrte er an den Schnüren und riss sie sich vom Kopf. Gierig sog er die frische Luft ein und

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