Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
würdest du ihr doch wohl kaum von mir ausrichten. Habe ich recht?« Er sah Ali offen ins Gesicht. »Ich weiß, dass du mich hasst, Ali al-Hussein. Und ich kann dich sogar verstehen. Wäre ich an deiner Stelle, würde ich genauso fühlen. Allerdings…«, wieder schienen seine Augen spöttisch zu funkeln, »… hätte ich dich schon längst getötet.«
    Ali schluckte. Er zweifelte keinen Augenblick an Saddins Worten.
    »Und was ist mit dir?«, fragte er nach einer Weile. »Wohin wirst du jetzt gehen?«
    »Ich weiß es noch nicht.« Er machte eine Pause und schien kurz nachzudenken. »Vermutlich würden wir zwei niemals Freunde werden. Dennoch gebe ich dir den Rat eines Freundes, Ali al-Hussein. Bleib bei deinem ursprünglichen Plan und verlasse Buchara. Mit Beatrice. In drei Monaten kommt eine Karawane hier entlang. Ich habe bereits alles vorbereitet. Sie werden Euch beide als Seidenhändler verkleidet nach Bagdad begleiten. Ich werde einen Boten zu dir schicken, wenn es so weit ist.« Er lächelte. »Das ist mein Dank für deine, wenn auch unfreiwillige Gastfreundschaft. Und nun lass mich bitte wieder allein.«
    Saddin verneigte sich und wandte sich erneut dem Fenster zu.
    Obwohl Ali darauf achtete, hörte er nicht, wann und auf welchem Weg Saddin das Haus verließ. Als er jedoch am kommenden Morgen in sein Turmzimmer stieg und das Fernrohr auf das Stadttor richtete, sah er, dass Saddins Zelte bereits verschwunden waren. Dort, wo noch vor wenigen Stunden ein ganzes Dorf gestanden hatte, gähnte nun ein riesiger leerer Platz. Durch sein Fernrohr konnte Ali sogar die von Mensch und Tier zertrampelte und aufgewühlte Erde erkennen. Er lenkte das Fernrohr weiter und suchte die Umgebung ab. Und tatsächlich entdeckte er die lange Karawane. Trotz der Schärfe der Linsen vermochte er sie nur noch als kleine Punkte fern am Horizont auszumachen. Doch er war sicher, dass es sich um Saddin handelte – um Pferde und Kamele, die ein ganzes Dorf auf ihren Rücken trugen. Er musste sofort nach ihrem Gespräch aufgebrochen sein.
    »Darf ich auch hindurchsehen?«
    Ali zuckte erschrocken zusammen, als er so unvermutet Beatrices Stimme hinter sich hörte.
    »Natürlich«, antwortete er und trat zur Seite.
    Beatrice beugte sich vor und schaute durch das Fernrohr. Sie stand lange da, schweigend. Er brauchte sie nicht zu fragen, ob sie wusste, was sie sah, denn als Beatrice zurücktrat, schimmerten Tränen in ihren Augen.
    »Ich habe es gewusst. Als er mir gestern nahe legte, mich auszuruhen, wusste ich, dass ich ihn nicht Wiedersehen werde«, sagte sie leise.
    »Ich habe… ich…«, stotterte Ali.
    »Wann hat er es dir gesagt?«
    »Gestern Abend.« Ali nahm den Stein aus einem Kasten, in dem er ihn verwahrt hatte, und hielt ihn ihr hin. »Das soll ich dir geben. Saddin sagte, du sollst auf den Stein aufpassen.«
    Beatrice nickte, und Tränen rollten über ihre Wangen. »Ich weiß«, sagte sie leise. »Ich weiß.«
    Verzweifelt überlegte Ali, was er jetzt tun sollte. Wie sollte er eine Frau trösten, die um einen anderen Mann weinte? Da ihm nichts Besseres einfiel, legte er einen Arm um ihre Schulter. Er war selbst überrascht, dass Beatrice sich das gefallen ließ und sich sogar noch an ihn schmiegte. Behutsam streichelte er über ihr Haar, das in der Morgensonne wie Gold glänzte. Bei Allah! Wie liebte er diese Frau! Und er ertappte sich dabei, dass er Saddin im Stillen dankte.

    Als Ahmad al-Yahrkun an diesem Morgen sein Fenster öffnete, um seinen geliebten Tauben ein paar Hirsekörner auf den Sims zu streuen, sah er voller Überraschung, dass die graue Taube zurückgekehrt war. Er hatte sie in der Nacht nicht kommen hören. Sie hockte neben den anderen Tauben, als hätte sie schon immer dort gesessen, und gurrte ihn leise an. Ahmad konnte seine Neugierde und Ungeduld kaum bezähmen. Seit Tagen hatte er sehnsüchtig auf eine Nachricht des Nomaden gewartet. Er hatte sich schon Sorgen gemacht, besonders, weil Saddin seit einiger Zeit weder in der Stadt noch in seinem Lager gesehen worden war.
    Vorsichtig nahm Ahmad das Tier in seine Hände und streifte ihm die Röhre vom Fuß. Er streichelte der Taube nochmals über das unscheinbare Gefieder, warf ihr ein paar Körner zusätzlich zur Belohnung hin und schloss das Fenster wieder. Sein Herz schlug wie eine Trommel in seiner Brust, und seine Hände zitterten vor Aufregung so sehr, dass es ihm schwer fiel, das eng zusammengerollte Papier aus der kleinen ledernen Röhre zu ziehen.

Weitere Kostenlose Bücher