Die Steine der Fatima
Arzt und werde dich jetzt untersuchen.«
Bildete er es sich nur ein, oder leuchtete bei seinen Worten in den blauen Augen der Sklavin Interesse auf? Während er behutsam ihren Kopf abzutasten begann, in ihre Augen und in ihren Mund sah, gingen eine Menge Gedanken in seinem Kopf umher. Ali hätte viel darum gegeben, wenn er seine Hände noch länger über ihren wohlgeformten Schädel und durch ihr seidiges helles Haar hätte gleiten lassen dürfen. Aber er war klug genug, sich diesen Wunsch nicht zu erfüllen. Jussuf ließ ihn nicht für einen Wimpernschlag aus seinen Augen und folgte jeder seiner Bewegungen mit grimmiger Miene. Und Ali zweifelte nicht daran, dass der Eunuch bereit war, das drohend blitzende Schwert an seinem Gürtel auch zu benutzen.
Der gesundheitliche Zustand der Sklavin versetzte Ali in Erstaunen. Er konnte keine Anzeichen für ein Gebrechen, eine Schwangerschaft oder eine ansteckende Krankheit finden, die ihren Gemütszustand erklärt hätten. Am meisten überraschten ihn jedoch die Zähne der Sklavin, die aussahen wie weiße, schimmernde Perlen. Nicht ein einziger Zahn fehlte, nicht einer war beschädigt oder krank oder verließ die gerade, vollendete Reihe seiner Brüder. Es war das Gebiss einer sehr jungen, gesunden Frau. Den Zähnen nach hätte er sie höchstens für dreizehn oder vierzehn gehalten. Aber wenn er ihr in die Augen sah, hatte er den Eindruck, dass sie viel älter war, vielleicht sogar älter als er selbst. Ali runzelte die Stirn.
»Ich möchte doch zu gerne wissen…«, murmelte er. »Wie ist dein Name?«, fragte er sie auf Latein, wobei er möglichst langsam und deutlich sprach. Es war eine Sprache, die er bereits seit seiner frühen Kindheit fließend in Wort und Schrift beherrschte. Dennoch kam es ihm vor, als würde seine Zunge am Gaumen kleben und nur widerwillig die vertrauten Worte hervorbringen. Warum war er so nervös? Die Frau vor ihm war doch nichts weiter als eine Sklavin.
Aufmerksam sah sie Ali an. Ihr Gesicht spiegelte deutlich die Anstrengung wider, seine Worte zu verstehen. Schließlich leuchtete es in ihren Augen auf, als sie offensichtlich den Sinn erfasst hatte. Mit vor Aufregung heiserer Stimme antwortete sie in einer seltsamen Sprache, deren Klang Ali noch nie zuvor vernommen hatte. Sie bemerkte, dass er sie nicht verstand, schüttelte den Kopf, versuchte es in einer anderen Sprache, die ihm ebenso fremd war, zuckte mit den Schultern und sagte dann langsam und in gebrochenem, schwer verständlichen Latein: »Heißen Beatrice Helmer.«
»Beatrice?«
Sie nickte und deutete auf Ali. »Arzt?«
»Ja, ich bin Arzt. Fehlt dir etwas? Hast du Schmerzen?«
Sie schüttelte heftig den Kopf und deutete dann auf sich. »Arzt. Beatrice Arzt. In Hamburg.«
Ali sah die Sklavin entgeistert an. Was wollte sie damit sagen? Wenn er sie richtig verstand, dann behauptete diese Frau, dass sie Arzt sei. Und was bedeutete dieses »Hamburg«? War das ein Ort? Ali wurde es unheimlich zumute, ein eiskalter Schauer lief seinen Rücken hinab. Er begann die Frauen im Harem des Emirs zu verstehen. Entweder hatte er es tatsächlich mit einer Hexe aus einem fernen, unbekannten Land zu tun, oder aber die Sklavin war einfach verrückt. In beiden Fällen wäre es besser, sich dieser Frau rasch zu entledigen und sie wirklich wieder in die Wüste zu bringen, bevor sie irgendwelchen Schaden anrichten konnte. Er wollte sich schon zurückziehen, um dem Emir seinen Vorschlag nochmals nahe zu legen, da kam ihm ein Gedanke, wie er die Sklavin auf die Probe stellen konnte. Wenn sie tatsächlich eine Heilkundige war, gleich, aus welchem Land sie stammte, müsste sie dann nicht wenigstens einige seiner Instrumente erkennen? Ali öffnete seine Tasche, holte die Instrumente hervor und legte sie nebeneinander auf eines der seidenen Kissen. Dann winkte er die Sklavin zu sich, die ihm neugierig zugesehen hatte.
»Kennst du diese Instrumente?«, fragte Ali langsam und deutete auf das Kissen.
Aufmerksam beobachtete Ali, wie die Sklavin den Kauter, die Skalpelle und die Zangen betrachtete. Nichts in ihrem Gesicht oder ihren Augen ließ ein Wiedererkennen vermuten. Im Gegenteil, sie machte sogar einen verwirrten Eindruck. Dann fiel sein Blick auf ihre Hände. Sie waren feingliedrig und schmal wie die Hände einer hochgestellten Frau. Aber die Haut war rau und gerötet, als hätte sie ihre Tage mit Wäschewaschen verbracht.
Und du willst Arzt sein?, dachte Ali verärgert. Wie hatte er sich nur dazu
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