Die Steine der Fatima
Rat. Sperrt diese Sklavin in ein tiefes Kellerloch. Oder besser noch, bringt sie in die Wüste zurück, bevor Buchara von der Pest heimgesucht wird.«
Ali legte sich seinen Mantel um die Schultern und griff nach seiner Tasche, doch Nuh II. hielt ihn an der Tür zurück.
»Geht noch nicht! Bitte.«
Zu seiner Genugtuung erkannte Ali, dass seine Worte ihren Zweck nicht verfehlt hatten – Nuh II. war verunsichert. Im Gesicht des Emirs stritten Eifersucht, Angst und Besitzerstolz gegeneinander. Diese seltsame Sklavin musste ihm weit mehr bedeuten, als er seinem Arzt gegenüber zugeben mochte.
»Ich erteile Euch die Erlaubnis«, sagte er mit einem tiefen Seufzer. Seiner Stimme war deutlich anzuhören, wie schwer es ihm fiel.
»Spricht sie unsere Sprache?« Der Emir schüttelte den Kopf. »Nein. Soweit ich weiß, beherrscht sie ein wenig Latein, aber auch das nur sehr bruchstückhaft. Ich selbst habe jedoch, seit ich sie vor einigen Tagen erwarb, noch kein einziges Wort von ihr gehört.«
»Nun, wir werden sehen.« Ali legte seinen Mantel wieder ab. »Lasst mich jetzt bitte mit ihr allein. Sobald ich die Untersuchung abgeschlossen habe, werde ich Euch meine Ergebnisse mitteilen.«
Der Emir schnappte sichtlich wütend nach Luft. »Beim Barte des Propheten, ich habe ein Recht darauf!«, schrie er voller Zorn. »Sie ist meine Sklavin!«
Schweigend begann Ali erneut damit, seinen Mantel anzuziehen.
»Halt! Wartet!«, rief der Emir verzweifelt. »Im Namen Allahs, ich werde Euch bei der Untersuchung allein lassen. Aber nur unter einer Bedingung. Jussuf wird bei Euch bleiben.«
Ali warf einen kurzen Blick auf den hünenhaften, muskelbepackten Eunuchen, der ihn so grimmig anstarrte, als hätte er bereits versucht, sich an der kostbaren Sklavin zu vergehen.
»Gut«, erwiderte Ali gnädig. »Sofern er mich bei meiner Arbeit nicht behindert, kann er bleiben.«
»Ich hoffe, Ihr wisst das Vertrauen zu schätzen, das ich Euch entgegenbringe, Ali al-Hussein.«
»Gewiss, mein Fürst«, entgegnete Ali unter einer leichten Verbeugung. »Ich werde Euch nicht enttäuschen.«
Nuh II. warf ihm noch einen langen, zornigen, gequälten Blick zu, dann stampfte er aus dem Raum und ließ die Tür lautstark hinter sich zufallen. Ali lächelte. Patienten, und besonders Nuh II. ibn Mansur, waren wie Kinder. Sie versuchten mit Trotz und Wut ihren eigenen Willen durchzusetzen. Und wie Eltern, so musste auch der Arzt manchmal zum Besten der ihm Anvertrauten unnachgiebig bleiben. Natürlich hätte der Emir bei der Untersuchung der Sklavin zusehen können. Es hätte Ali in seiner Arbeit nicht gestört. Aber dies war der erste Kampf mit Nuh II. um seine Autorität als Leibarzt gewesen. Und wenn er nicht mit ihm in Zukunft über jede ärztliche Anordnung streiten wollte, so musste er in diesem Fall hart bleiben. Ali ging auf die verschleierte Frau zu, die weder ihren Kopf hob noch sonst eine Regung zeigte. Ob sie vielleicht ihr Gehör verloren hatte? Unvermittelt klatschte er einmal laut in die Hände. Die Frau zuckte vor Schreck zusammen und warf ihm einen kurzen Blick zu, um gleich darauf wieder in ihre Erstarrung zu fallen.
»Taub bist du jedenfalls nicht.«
Er trat näher, ohne dass die Sklavin ihm Beachtung geschenkt hätte. Erst als er vorsichtig den Schleier öffnete, der Gesicht und Haar verhüllte, sah sie ihn an, als würde sie langsam aus einem Traum erwachen. Ali ließ den Schleier von ihrem Kopf gleiten und hielt unwillkürlich den Atem an. Er begriff, weshalb der Emir diese Sklavin nicht wieder an Omar al-Fadlan zurückgeben wollte, nicht zurückgeben konnte. Sie war keine üppige Schönheit, wie er und die meisten Männer, die er kannte, sie normalerweise bevorzugte. Ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt, der jegliche weibliche Rundungen zu fehlen schien, zeichnete sich deutlich unter ihrem Gewand aus silberdurchwirktem dunkelblauem Samt ab. Ihr Gesicht war schmal, und die weiße Haut spannte sich über ausgeprägten Wangenknochen. Sie sah fast ein wenig unterernährt aus, und Ali erinnerte sie an eine magere Ziege. Doch ihre Augen! Diese Augen waren blau, so blau wie der Himmel kurz vor Einbruch der Dämmerung, und ihr helles Haar schimmerte wie Sternenlicht. Sie sah aus wie eine Fee in einer der Geschichten, die der Märchenerzähler auf dem Markt immer zum Besten gab.
»Ich heiße Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina«, begann er und fragte sich im selben Augenblick verwundert, weshalb er sich bei ihr vorstellte. »Ich bin
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