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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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hatte Angst. »Ich fühle mich müde und schwach. Seit einiger Zeit schmeckt mir das Essen nicht. Manchmal habe ich Kopfschmerzen. Es kommt immer häufiger vor. Und an einigen Tagen kann ich nicht mehr richtig sehen.«
    Beatrice nickte. Alles passte zusammen. Und als sie die linke Brust der Alten untersuchte, fand sie ihren Verdacht bestätigt. Unter ihren Fingern fühlte sie einen harten hühnereigroßen Knoten.
    »Tut das weh?«, fragte sie Sekireh und fuhr mit den Fingern über die höckerige Oberfläche. Die Alte schüttelte den Kopf. »Hebe bitte deine Arme.«
    Vorsichtig untersuchte Beatrice die Achseln. Auch hier, ebenso wie hinter dem linken Schlüsselbein, fand sie mehrere harte Knoten.
    »Du kannst dich wieder anziehen, Sekireh.«
    Langsam legte die alte Frau ihre Kleider an. Beatrice zögerte. Sie hatte sich noch nie davor gefürchtet, ihren Patienten die Wahrheit zu sagen. Aber dieser Fall lag anders. Immerhin war Sekireh die Mutter des Emirs und im ganzen Harem gefürchtet. Man munkelte sogar, dass auf ihren Wunsch hin mehr Menschen ihr Leben verloren hatten als durch Nuhs eigenen Willen. Sollte sie dieser Frau auf den Kopf zusagen, dass sie bald sterben würde, und dadurch womöglich riskieren, selbst unter dem Beil des Scharfrichters zu enden? Doch dann sah sie den ängstlichen, erwartungsvollen Blick der Alten, und sie brachte es nicht übers Herz, sie zu vertrösten oder gar anzuschwindeln. Mochte sich die ganze Welt vor ihr fürchten, Sekireh hatte wie jeder andere auch ein Recht darauf, die Wahrheit über ihren Zustand zu erfahren.
    »Setz dich«, sagte Beatrice und bot der Alten einen Platz auf ihrem Bett an. Sie konnte verstehen, weshalb so viele Kollegen sich vor Gesprächen dieser Art scheuten, die hässlichsten Diagnosen in die schönsten Worte kleideten oder aber sich ganz verweigerten und den Schwarzen Peter einem Kollegen zuschoben. Hierdurch änderten sich jedoch selten die Tatsachen. Beatrice stieß einen Seufzer aus und setzte sich neben die Alte.
    »Was ist mit mir?«
    »Du bist sehr krank, Sekireh«, begann Beatrice langsam und überlegte, wie sie der Alten, die vermutlich überhaupt kein medizinisches Vorwissen hatte, die Diagnose erklären sollte. Sie hielt nichts davon, sich hinter den Fachbegriffen zu verstecken, wie andere Kollegen es gern taten. Sie sah ihr offen ins Gesicht. »Du hast Brustkrebs in fortgeschrittenem Stadium. Selbst wenn mir die geeignete Ausrüstung zur Verfügung stehen würde, glaube ich nicht, dass ich noch viel für dich tun könnte. Der Tumor in deiner linken Brust ist bereits ziemlich groß. Wenn du deine linke Achselhöhle abtastest, kannst du die vom Krebs befallenen Lymphknoten spüren. Die Schmerzen in deiner Hüfte und deiner Wirbelsäule sind wahrscheinlich bereits die Folgen von Knochenabsiedlungen. Auch deine Kopfschmerzen und die Sehstörungen könnten auf die Geschwulst zurückzuführen sein. Ohne CT kann ich jedoch…«
    »Ich verstehe von diesen Dingen nichts«, unterbrach Sekireh sie. »Kannst du mir helfen?«
    »Ich weiß es nicht. Nuh II. müsste dich in ein Krankenhaus bringen und dort ein CT und eine Szintigraphie machen lassen. Sollten sich tatsächlich in der Wirbelsäule Knochenmetastasen befinden, kann man sie bestrahlen. Aber mehr als eine Linderung der Schmerzen wird kaum zu erwarten sein.«
    Sekireh runzelte die Stirn. »Ich werde also sterben. Richtig?«
    Beatrice nickte.
    Sekireh stieß langsam die Luft aus.
    »Wann?«
    »Das weiß niemand außer Allah.«
    Die alte Frau saß auf dem Bett und starrte schweigend auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
    »Ich fürchte den Tod nicht«, sagte sie ruhig. »Aber ich fürchte die Schmerzen, die ihn begleiten könnten.«
    »Das verstehe ich. Aber davor brauchst du keine Angst zu haben. In einem Krankenhaus kann man die Metastasen bestrahlen, und mit Morphium können die Schmerzen zusätzlich gelindert werden.«
    Sekireh schüttelte den Kopf. »Wie ich schon sagte, von alldem verstehe ich nichts. Das gehört wohl zu der Heilkunde, die du in deiner Heimat erlernt hast. Ich möchte jedoch auf gar keinen Fall den Palast verlassen, zu keiner Zeit. Dies ist mein Zuhause, seit ich mit Nuhs Vater verheiratet wurde, und ich will hier sterben.«
    »Ich respektiere diesen Wunsch. Dann werde ich eben mit Nuh II. reden. Er könnte einen Spezialisten hier in den Palast holen, der dir die geeigneten Schmerzmittel verschreibt. Vielleicht könnte man auch…«
    »Nein, du wirst mit niemandem darüber reden,

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