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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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mitgeteilt hatte, weshalb er ihn zu sich gerufen hatte. Ali sollte erneut jene Sklavin, die neueste Frau im Harem des Emirs, untersuchen. Von einem Augenblick zum nächsten war Ali der Appetit vergangen. Zum Glück schien Nuh II. nicht bemerkt zu haben, dass sein Gast die Bissen auf seinem Teller nur noch lustlos hin und her schob, nachdem dieser noch kurz zuvor kräftig zugelangt hatte. Der Emir erzählte munter weiter und leerte schließlich allein die zahlreichen Schüsseln und Platten. Als er endlich satt war, hatte er Ali in dieses Zimmer führen lassen.
    Ali ging auf und ab, zählte seine Schritte, betrachtete aufmerksam die eingewebten farbenfrohen Muster auf den Kissen und Teppichen, suchte an den weiß getünchten Wänden nach einem Makel und tat alles, um sich abzulenken, abzulenken von dem Gedanken, dass er nun bald wieder ihr gegenüberstehen würde. Jener geheimnisvollen Frau, von der er nicht wusste, was er von ihr halten sollte, ob sie krank oder eine Hexe war; jener Frau, die in Wahrheit für Mirwats Heilung verantwortlich war.
    Seit der verwirrenden und beschämenden Begegnung in Mirwats Schlafgemach verdrängte er immer wieder das Bild dieser Frau aus seinen Gedanken. Dennoch suchte sie ihn heim, meistens nachts in seinen Träumen. In diesem Träumen lachte sie ihn aus. Sie lachte ihm mit ihren wunderschönen, so erschreckend ebenmäßigen Zähnen laut ins Gesicht – weil er nicht in der Lage gewesen war, die Ursache für Mirwats Erkrankung zu finden, weil er ihr, einer Frau, einer Fremden und Ungläubigen aus dem Norden, unterlegen gewesen war. Manchmal, wenn Ali schweißgebadet aus diesen Träumen erwachte, verachtete er sich selbst. Er hatte den Ruhm für Mirwats Heilung eingestrichen, ohne es zu verdienen. Aber was sollte er tun? Sollte er sich etwa hinstellen und aller Welt, voran dem Emir, erzählen, dass nicht er Nuhs Lieblingsfrau geheilt hatte, nicht das Wunderkind, das bereits im Alter von zehn Jahren alle bedeutenden Werke der berühmtesten römischen und griechischen Ärzte zitiert und verstanden hatte, der viel gerühmte Leibarzt des Emirs von Buchara, sondern eine Frau?! Noch dazu eine Sklavin, eine Ungläubige, eine Barbarin von zweifelhafter Herkunft und schlechter Bildung, die nicht einmal Latein und Griechisch perfekt beherrschte? Eine solche Ungeheuerlichkeit hätte die Festen der Welt erschüttert, wenn sie dem gemeinen Volk zu Ohren gekommen wäre. Und er selbst hätte nicht nur sein Ansehen eingebüßt, sondern wäre außerdem zum Gespött der Leute geworden.
    Ali schüttelte den Schauer ab, der kalt über seinen Rücken kroch, und widmete seine ganze Aufmerksamkeit einer besonders kunstvoll verzierten Öllampe aus Messing. Er versuchte gerade anhand der Hammerschläge herauszufinden, wie alt jener Mann gewesen sein mochte, der dieses Messing bearbeitet hatte, als plötzlich die Tür aufging. Ali wandte sich um und sah zuerst den dunkelhäutigen Eunuchen eintreten, der sich bücken musste, um nicht mit dem Kopf gegen den Balken zu stoßen. Er stellte sich mit verschränkten Armen neben der Tür auf und starrte Ali so finster an, als wäre dieser sein Todfeind.
    Ali konnte seinen Blick kaum von Jussuf abwenden.
    Er hatte nicht mehr gewusst, wie groß der Eunuch war, welch eine Angst einflößende Erscheinung. Und er fragte sich, ob es überhaupt je ein Mann wagen würde, eine der Frauen des Emirs anzusehen oder gar zu berühren, wenn Jussuf in der Nähe war.
    Ein leises Hüsteln hinter seinem Rücken ließ Ali erschrocken herumfahren. Sein Magen hob und senkte sich.
    Da stand sie, die rätselhafte Frau. An ihren Augen, diesen blauen Augen, die als Einziges nicht vom Schleier verdeckt wurden, konnte er erkennen, dass sie lächelte. Verachtend? Herablassend? Gnädig? Oder vielleicht doch freundlich? Ali war nicht in der Lage, es zu deuten.
    »Verzeiht, wenn ich Euch erschreckt habe«, sagte sie mit ruhiger, angenehm klingender Stimme. »Das war nicht meine Absicht. Aber ich fürchtete schon, Ihr hättet mich vergessen.«
    Ali schluckte. Nicht genug damit, dass sie, wenn auch mit leichtem Akzent, das Arabisch einer gebildeten Frau sprach, sie richtete auch zuerst das Wort an ihn. Wollte sie ihn verhöhnen? Wollte sie ihm das ganze Ausmaß ihrer Verachtung zeigen? Oder wusste sie einfach nicht, dass es gegen alle Regeln der Höflichkeit war, als Frau und Sklavin das Gespräch mit einem Mann zu eröffnen?
    »Du hast mich nicht erschreckt«, erwiderte er schnell, um ihr nicht den

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