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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Linsen und einem Stück Leder bestanden, das man zu einer Röhre formen konnte. Es war ein Instrument, wie es die Nomaden und Karawanenführer bei sich trugen, wenn sie in der Wüste unterwegs waren. Es ließ sich schnell auseinanderbauen und leicht in den Taschen verstauen.
    Ali hatte dieses Fernrohr geliebt. Jeden Abend hatte er den Sternenhimmel damit betrachtet und sich gefragt, ob er wohl irgendwann einmal dorthin reisen konnte, um sich die Sterne aus der Nähe anzusehen. Oft genug hatte er darüber die Zeit vergessen, sodass sein Vater ihn hatte ermahnen müssen, endlich schlafen zu gehen. Gewissenhaft hatte er schon damals jede seiner Beobachtungen aufgeschrieben. Mittlerweile besaß Ali ein viel besseres und präziseres Fernrohr. Er hatte es aus dem Nachlass eines der berühmtesten Sternendeuter aus Bagdad erworben. Wenn er jedoch seine Aufzeichnungen von damals durchging, wunderte er sich oft, wie sehr seine Beobachtungen mit denen, die er schon als Kind gemacht hatte, übereinstimmten.
    Ali putzte eine der Linsen und hielt sie gegen das Licht der aufgehenden Sonne. Unter ihm in den Straßen Bucharas erwachte langsam der neue Tag. Die ersten Händler verluden ihre Waren auf Karren, um damit zum Marktplatz zu fahren. Frauen holten in großen Tonkrügen frisches Wasser vom Brunnen oder trugen schmutzige Wäsche in Weidenkörben zum Waschplatz. Ali hörte ihre Stimmen und das Lachen, wenn sie den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft austauschten. Dann vernahm er die schnellen, schweren Schritte von Männern mit festen Schuhen auf dem steinernen Pflaster der Straße. Vermutlich war das die Sänfte, die der Emir ihm schicken wollte. Und richtig, kurz darauf hörte er ein lautes Pochen an der Tür. Ali prüfte nochmals, ob die Linse sauber war, und ließ sie dann behutsam in einen Beutel aus schwarzem Samt gleiten. Während er die zweite Linse putzte, drangen Stimmen aus der Halle zu ihm. Wahrscheinlich hatte Selim nur einem der Männer, dem Boten, Zutritt ins Haus gewährt. Ali hörte die schleppenden Schritte seines Dieners, als dieser mühsam die Treppe erklomm, um seinem Herrn von der Ankunft der Sänfte zu berichten.
    Ali wandte sich nicht einmal um, als sich die Tür zu seinem Schlafgemach öffnete.
    »Herr, verzeiht, die Sänfte…«
    »Ich weiß«, unterbrach er den alten Diener. Er war es leid, immer wieder Dinge zu hören, von denen er schon lange wusste. »Sage dem Boten, ich komme hinunter, sobald ich hier fertig bin. Er soll sich einen Augenblick gedulden.«
    »Aber Herr, Ihr…«
    »Ich habe mich bereits während der Nacht angekleidet!«
    Ali wandte sich um. Er sah das Missfallen, mit dem Selim den geöffneten Kasten betrachtete, in dem er das Fernrohr aufbewahrte. Für den alten Diener war dieses Instrument das Werk von Dämonen, die damit die Seelen der Menschen verzaubern und ihnen den Weg zum Paradies versperren wollten. Meistens verbarg Ali deshalb das Fernrohr vor den Augen des alten Mannes, um ihn nicht unnötig zu beunruhigen. Aber manchmal, so wie heute, bereitete es ihm geradezu Vergnügen, seinen Diener zu provozieren. Selim war so einfältig. Wie konnte ein harmloses Gerät, bestehend aus ein wenig Metall und Glas, den Seelen der Menschen ein Leid zufügen?
    »Halte dies!«, sagte er und drückte dem Alten mit spöttischem Lächeln das Metallrohr in die Hände. Bedächtig und viel sorgfältiger als nötig faltete er die Tücher auseinander, mit denen der Kasten ausgeschlagen war. Selim stand gehorsam neben ihm. Er rührte sich nicht und beschwerte sich auch nicht, aber er sah das Metallrohr an, als hielte er eine giftige Schlange in den Händen. Ali wusste, dass der Alte, sobald er das Haus verlassen hatte, sich ausgiebig reinigen und Allah um Vergebung bitten würde. Er stieß einen Seufzer aus und nahm Selim das Fernrohr ab. Behutsam wickelte er es in die Tücher und legte es zusammen mit den Linsen in den Kasten. Er hörte, wie Selim erleichtert aufatmete, als er den Deckel zuklappte.
    Ob die Menschheit sich auch in der Zukunft derart vom Aberglauben leiten lassen würde? Oder war man in hundert oder tausend Jahren so weit, dass Vernunft und Verstand die Geschicke der Menschen bestimmten? Ali seufzte erneut. Manchmal wünschte er sich, er könnte mit seinem Fernrohr nicht nur die Sterne beobachten, sondern auch in die Zukunft sehen. Zum Glück wusste Selim nichts von diesen Gedanken. Den alten Mann hätte vermutlich auf der Stelle der Schlag getroffen.
    »Ich bin jetzt

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