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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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lasst den Kopf nicht hängen. Mir wird schon etwas einfallen, um Euer Problem zu lösen. Ich werde mich zuerst erkundigen, ob nicht doch eine Karawane auf dem Weg hierher ist. Vielleicht lässt sich auch ein Karawanenführer zu einer geringfügigen Änderung seiner Route überreden. Sobald ich mehr weiß, gebe ich Euch Nachricht.«
    Ali erhob sich. Gerade als er sich wieder die Kapuze überstülpen wollte, fiel sein Blick auf einen Gegenstand, der mitten auf einem der Teppiche lag. Er bückte sich. Es war ein kurzer Dolch mit breiter Klinge. Besonders auffällig war der Griff. Eine fette silberne Schlange wand sich darum. Dieses hässliche Ding kam ihm bekannt vor. Aber wo hatte er es schon einmal gesehen? Saddin gehörte der Dolch sicher nicht.
    »Hier, das hat offensichtlich jemand verloren«, sagte er und reichte dem Nomaden den Dolch.
    Der nahm ihn an sich und betrachtete ihn eine Weile. »Geschmacklos! Der Schmied muss einen schlechten Tag gehabt haben, als er ihn gemacht hat«, sagte er verächtlich. »Ich weiß, wem er gehört. Wenn ich den Mann in drei Tagen sehe, bekommt er sein Eigentum zurück.«
    Ali lief ein Schauer über den Rücken. Er ahnte, was Saddin bei seinen Worten im Sinn hatte, und konnte dem armen Kerl nur wünschen, dass er seine Frist einhielt.
    Ali verabschiedete sich. Er war schon auf dem Weg nach Hause, als ihm plötzlich einfiel, warum ihm die Stimme des Mannes so bekannt vorgekommen war und wo er diesen hässlichen Dolch schon einmal gesehen hatte. Der verzweifelte, jammernde Mann, dem er bei Saddin begegnet war, war Mustafa ibn Mustafa, der Kopf einer großen und gefürchteten Diebesbande von Buchara. Hin und wieder suchte er Ali auf, wenn einer seiner Schergen sich verletzt hatte. Er war brutal und kaltschnäuzig, ein Mann, der seine Macht über andere genoss. Ihm schien es zu gefallen, wenn andere vor ihm zitterten. Und doch hatte gerade eben dieser Mustafa vor Angst gewimmert.
    Das bestätigte den Eindruck, den Ali schon seit Längerem von dem Nomaden hatte. Mit einem Mal wusste er gar nicht mehr, was er an Buchara, dem Emir und seinem Amt als dessen Leibarzt auszusetzen hatte. Er konnte doch eigentlich mit seinem Leben überaus zufrieden sein.
    Ein kluger, vernünftiger Mann hätte sich in sein Schicksal ergeben. Er hätte den Traum von Bagdad begraben und wäre Saddin aus dem Weg gegangen, dachte Ali. Und ich törichter Narr habe genau das Gegenteil getan.
    In Beatrice ging eine Veränderung vor. Sie hörte auf, die Mahlzeiten zu zählen. Sie hatte nicht mehr das Bedürfnis, genau zu wissen, wie lange sie schon hier in dieser Zelle saß. Eine seltsame Ruhe überkam sie.
    Sie hatte immer noch genau vor Augen, wie Jussuf sie hierher gebracht hatte. Die Fackel, die er getragen hatte, hatte für kurze Zeit die kleine saubere Zelle ausgeleuchtet, den dunklen, altersgeschwärzten Steinboden, die aus riesigen Quadern gearbeiteten Wände. Dann hatte Jussuf die Tür hinter sich geschlossen. Sie hatte gehört, wie der schwere Riegel vorgeschoben wurde, und gleich darauf war das Licht der Fackel, das immer noch durch einen schmalen Spalt an den Türangeln hindurchschimmerte, wieder davongetragen worden. An diesen Lichtschimmer klammerte sie sich jetzt. Er war ihr Strahl der Hoffnung geworden, die Verbindung zum Leben, der Beweis, dass es außerhalb dieser Finsternis tatsächlich Licht gab. Irgendwann würde dieses Licht zurückkehren und sie wieder hinausführen aus der Dunkelheit. Daran glaubte sie fest.
    Beatrice strich vorsichtig über den Steinboden. Ihre Hände taten zwar immer noch weh, aber dieser Schmerz war zu ertragen. Sie fühlte die Unebenheiten unter ihren geschwollenen Fingern. Der Stein war hart und kalt. Und doch hatte das Leid vieler Gefangener ihm seine Spuren aufgedrückt. Das Scharren ungezählter Hände und Füße hatte Kerben auf seiner Oberfläche hinterlassen und sie blank poliert. Wie viele Tränen mochten auf diesem Stein getrocknet sein? Wie viele Männer und Frauen hatten sich wie sie selbst die Fäuste blutig geschlagen? Wie viele Gefangene hatten hier bereits ihren Verstand verloren oder waren, von der Welt dort draußen vergessen, gestorben? Wie oft hatten Menschen in letzter Verzweiflung versucht, sich mit bloßen Händen einen Weg nach draußen zu graben und waren natürlich jämmerlich gescheitert? Beatrice konnte die schmalen Kerben fühlen, sie konnte die Trostlosigkeit spüren, die daraus sprach. Die Menschen, die hier gegraben hatten, hatten um die

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