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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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die Kleider vom Leib riss. Meistens wachte sie dann schweißgebadet und vor Kälte zitternd mit schmerzenden Gliedern wieder auf. Sie verfluchte Nuh II. ibn Mansur und wünschte ihm die Pest an den Hals. Sollte er doch jämmerlich an irgendeiner widerlichen Infektion zugrunde gehen. In ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung warf sie ihre hölzerne Schüssel gegen die Wand und schlug so lange gegen die eiserne Klappe in der Tür, bis sie den Schmerz schließlich nicht mehr spürte und ihre Fäuste taub waren. Erschöpft zog sie sich in eine Ecke zurück, fuhr sich durchs Haar und wischte sich die Tränen von den Wangen. Aber wozu tat sie das? Es konnte ohnehin niemand sehen, wie sie ausschaute. Da merkte sie, dass etwas Warmes und Klebriges ihre Unterarme hinablief – Blut! Sie musste sich bei ihrem Wutanfall verletzt haben. Entsetzt untersuchte sie ihre Handrücken und stellte fest, dass sie an beiden Händen tiefe Schnitte hatte und dass die Knöchel stark angeschwollen waren. Sie hatte zwar keine Schmerzen, da ihre Hände von der Wucht ihrer Schläge immer noch taub waren, aber eine Fraktur war nicht auszuschließen. Außerdem hatte sie sich seit Tagen nicht mehr waschen können, und die kleine Zelle stank nach Urin und Kot. Diese Wunden an ihren Händen konnten sich leicht infizieren. Horrorvisionen von ihrem bevorstehenden Tod traten ihr vor Augen. Sie würde eine Blutvergiftung bekommen und im Fieber sterben; oder der Wundbrand würde ihr die Hände wegfressen, und unter fürchterlichen Schmerzen würde sie jämmerlich krepieren; oder eine Tetanusinfektion würde zu so schweren Krämpfen der Rückenmuskulatur führen, dass sie ihr die Wirbelsäule brachen. Selbst wenn Jussuf tatsächlich nach Ablauf von zehn Tagen zurückkehrte, um sie wieder herauszulassen, würde es ihr wahrscheinlich nichts mehr nützen – sie war dann schon nicht mehr am Leben.
    Beatrice begann laut zu schluchzen. Tränen liefen in Strömen über ihr Gesicht, ihr Körper bebte und zitterte. Sie weinte so sehr, dass sie sich fast übergeben musste. Hustend und würgend warf sie sich auf den Boden. Sie würde sterben, da war sie sich ganz sicher. Dies war das Ende. Warum nur hatte sie nicht eher an die Folgen gedacht, weshalb war ihr das nicht eingefallen, bevor sie in sinnloser Wut ihre Fäuste an der Eisenklappe zertrümmert hatte? Beatrice, die immer gedacht hatte, keine Angst vor dem Tod zu haben, musste sich jetzt eingestehen, dass sie sich selbst belogen hatte. Sie hatte Angst vor dem Tod, es war sogar eine infernalische Angst. Sie hatte nur bisher trotz ihres Berufs und dem ständigen Kontakt mit Sterbenden nie wirklich über ihren eigenen Tod nachgedacht.
    Beatrice ertappte sich dabei, wie sie ihre geschwollenen Hände faltete und betete. Sie flehte Gott um ihr Leben an und fiel schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als sie wieder erwachte, fühlte sie sich müde und zerschlagen. Aber wie durch ein Wunder hatten sich ihre verletzten Hände nicht infiziert. Sie hatte zwar erhebliche Schmerzen und konnte die Finger kaum bewegen, aber sie hatte anscheinend keine Knochenbrüche erlitten. Vielleicht hatte Gott ihre Gebete tatsächlich erhört. Sie schickte ein Dankgebet zum Himmel. Trotzdem verwendete Beatrice die Hälfte ihrer Wasserration für die Reinigung der Wunden, um nicht doch noch eine Infektion zu riskieren. Einmal war alles gut gegangen. Man sollte sein Glück, seinen Schutzengel oder was auch immer nicht zu oft herausfordern. Danach legte sie sich wieder hin. Abgesehen von einer notdürftigen Reinigung war Schlaf das Einzige, was sie in diesem Drecksloch für eine Heilung tun konnte.

    Ali wartete. Er stand in einem Raum, den er wegen der Kapuze auf seinem Kopf nicht sehen konnte, und wartete darauf, endlich zu Saddin vorgelassen zu werden. Es war nicht das erste Mal, dass er den Nomaden aufsuchte. Aber es war das erste Mal, dass dieser seine Verabredung nicht einhielt. Sein Begleiter, dessen Anwesenheit Ali normalerweise nur erahnen konnte, schien auch schon nervös zu werden. Ali hörte, wie er unruhig auf und ab ging und hin und wieder seufzte. Was war los?
    Endlich öffnete sich vor ihm eine Tür. Ein Mann stolperte an Ali vorbei.
    »Drei Tage! Drei lächerliche Tage!«, jammerte er laut mit einer Stimme, die Ali bekannt vorkam. »Wie soll ich nur diese Frist einhalten? Noch nicht einmal ich weiß ja, wo der Kerl sich versteckt. O Allah, was soll ich nur tun?« Das Jammern und Stöhnen entfernte sich langsam, und

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