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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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blassblauen Himmel, aber hier in ihrem Zimmer herrschte wohltuendes Halbdunkel. Die Fensterläden waren geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Dennoch konnte Beatrice jede Einzelheit deutlich erkennen. Sie sah die niedrigen Tische, die Truhen mit ihren Kleidern, den kleinen Schminktisch mit Spiegel, Parfumfläschchen, Haarkämmen und Kajalstiften, die Sitzpolster, die Öllampen und Messingtabletts. Neben ihr am Bett stand eine mit Wasser gefüllte Schale, in der frische Rosenblüten schwammen.
    Beatrice schloss die Augen und atmete tief ein. Wie herrlich diese Blüten dufteten. Wie wunderbar weich sich die Laken ihres Bettes anfühlten. Das alles war so schön, dass ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen traten. Zwei Tage waren mittlerweile vergangen, vor zwei Tagen war sie errettet worden. Natürlich war es Jussuf gewesen und kein übernatürliches Wesen. Dennoch kam es ihr immer noch wie ein Wunder vor, dass man sie wieder aus dem Kerker befreit hatte. Sie fühlte sich, als wäre sie von den Toten auferweckt worden. Sie registrierte jede Kleinigkeit in ihrer Umgebung und genoss sie voller Dankbarkeit – das Essen, die Stimmen anderer Frauen oder einfach nur einen Lichtstrahl, den sie sehen konnte.
    Leise schnelle Schritte näherten sich ihrem Bett. Noch vor kurzer Zeit hätte Beatrice dieses Geräusch kaum wahrgenommen. Aber die Tage in der Dunkelheit – tatsächlich waren es nur zehn gewesen, auch wenn es ihr schwer fiel, das zu glauben – hatten ihre Sinne geschärft. Sie hörte, tastete, roch und schmeckte mehr als zuvor. Vermutlich würde sich dieser Effekt mit der Zeit wieder verlieren, aber so lange er anhielt, wollte sie ihre Umgebung genießen, buchstäblich mit allen Sinnen.
    »Herrin? Schlaft Ihr?«, flüsterte Yasmina so leise, dass es fast wie ein Windhauch klang. Und in diesem Hauch lag der Duft von heißem Melissentee, warmem Brot und vollreifen Pfirsichen.
    »Nein, ich bin schon lange wach«, erwiderte Beatrice.
    »Herrin, Ihr habt ja geweint«, bemerkte Yasmina voller Bestürzung. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl? Soll ich den Arzt rufen?«
    Beatrice schüttelte den Kopf und setzte sich im Bett auf. »Nein, Yasmina, das ist nicht nötig. Mir geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Ich habe geweint, aber vor Freude. Wusstest du, wie schön dieses Leben sein kann?«
    »Gewiss, Herrin.« Yasmina klopfte die Kissen auf und stopfte sie Beatrice so in den Rücken, dass sie sich bequem anlehnen konnte. Dann stellte sie einen niedrigen Tisch quer über Beatrices Beine. »Ich habe Euch Frühstück gebracht. Trinkt den Tee, solange er noch heiß ist, er wird Euch gut tun.«
    »Danke, Yasmina.« Voller Genuss atmete Beatrice den heißen Dampf ein, der aus der dickbauchigen Kupferkanne aufstieg. Die kleinen flachen Brote rochen, als wären sie erst vor wenigen Minuten gebacken worden, und die Pfirsiche dufteten süß wie Honig. Beatrice brach sich ein Stück Brot ab.
    »Fühlt Ihr Euch schon kräftig genug, um Besuch zu empfangen?«, fragte Yasmina, während sie den Melissentee in eine kleine Tasse goss.
    »Besuch?«
    »Ja, Herrin. Sekireh möchte Euch sehen. Sie wartet vor der Tür. Ich versprach, Euch zu fragen. Sie wird jedoch nicht beleidigt sein, wenn Ihr noch zu schwach seid. Ich kann sie wieder fortschicken, wenn Ihr wollt.«
    »Nein, nein, sie soll ruhig kommen«, erwiderte Beatrice und biss voller Genuss in einen Pfirsich. »Ich habe so lange mit keiner Menschenseele gesprochen, dass mir jeder, dem ich begegne, wie ein von Allah gesandter Engel erscheint.«
    Yasmina ging zur Tür. Beatrice hörte, wie sie mit Sekireh sprach. »Meine Herrin wünscht Euch zu sehen, Herrin. Es geht ihr schon viel besser. Sie frühstückt gerade.«
    »Das ist gut.«
    Sekireh kam langsam zum Bett. Sie stützte sich schwer auf ihren Stock und ließ sich schließlich ächzend auf den Polstern, die Yasmina ihr zurechtgeschoben hatte, nieder.
    »Es ist sehr dunkel hier«, sagte sie, als wollte sie von ihrer eigenen Schwäche ablenken.
    »Ja, meine Augen sind immer noch sehr empfindlich. Das Tageslicht blendet mich«, erwiderte Beatrice. »Ich kann nur froh sein, dass Jussuf so umsichtig war, mir die Augen zu verbinden, als er mich aus dem Kerker brachte. Möglicherweise wäre ich erblindet.« Sie sah die alte Frau an. Täuschte sie sich, oder war das Gesicht noch schmaler geworden? Standen die Wangenknochen nicht noch weiter hervor, und lagen die Augen nicht noch tiefer in ihren Höhlen, seit sie sie das letzte Mal

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