Die Steine der Fatima
gesehen hatte? »Wie geht es dir, Sekireh?«
»Die Schmerzen sind nicht schlimmer geworden. Hannah bereitet mir täglich Tee aus den Kräutern zu, die du mir verordnet hast. Außerdem massiert sie mich jeden Tag an den Punkten, die du ihr gezeigt hast. Das lindert die Schmerzen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Dennoch spüre ich, wie mein Körper mich langsam im Stich lässt. Es sind nur Kleinigkeiten – Bewegungen, die mehr Kraft kosten als noch vor wenigen Tagen, der Wunsch nach Ruhe und Schlaf, der mich kaum noch loslässt. Wenn ich im Garten auf einer Bank sitze, möchte ich dort ewig sitzen bleiben, mit geschlossenen Augen dem Fließen des Wassers lauschen, selbst dahintreiben, irgendwohin in die Ewigkeit. Nun, ich nehme an, es wird nicht mehr lange dauern. Aber ich langweile dich mit meinem Gejammer. Erzähle du mir von den Tagen deiner Gefangenschaft, vorausgesetzt, du möchtest. Du musst mir meine Neugierde verzeihen, aber du bist hier eine Heldin.«
Beatrice lächelte. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Und eine Heldin bin ich ganz gewiss nicht. Es war dunkel, still, einsam. Ich hatte ständig Todesangst und habe mir die Essensrationen eingeteilt, für den Fall, dass man mich dort unten vergessen sollte. Das Schlimmste aber war die Angst davor, langsam wahnsinnig zu werden. Wieder hier in diesem Bett zu liegen und all die vertrauten Dinge um mich herum zu sehen kommt mir fast wie ein Wunder vor. Ich möchte am liebsten den ganzen Tag nur singen. Trotzdem lässt es mich immer noch nicht los.
Bei Tage ertrage ich das Licht nicht, und in der Nacht muss ich Yasmina bitten, eine Lampe anzuzünden, weil die Dunkelheit mir zu schaffen macht. Ich habe dann Angst, aufzuwachen und festzustellen, dass dies hier nur ein Traum war und ich mich in Wirklichkeit immer noch im Kerker befinde. Es ist, als ob ein Teil von mir dort unten geblieben wäre.« Sie seufzte. »Wurde im Palast darüber geredet?«
Sekireh begann zu lachen. Sie lachte, bis ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. »O mein Kind, wie wenig bist du doch immer noch mit dem Leben hier vertraut. Ob darüber geredet wurde? Seit mehr als zehn Tagen gibt es im ganzen Palast kein anderes Gesprächsthema als dich, die gebrochene Nase meines Sohnes und die Strafe, die er dir dafür auferlegt hat.«
»Und, was erzählt man sich?«
»Natürlich hat Nuh II. versucht, den wahren Grund für seine Verletzung geheim zu halten. Aber seine Bemühungen waren von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ali al-Hussein hatte den Palast noch nicht verlassen, da wusste bereits jeder, dass du ihm die Nase gebrochen hast – vom höchsten Beamten bis zu den Küchensklaven. Ich hätte ihm gleich sagen können, dass er sich mit Ausreden nur lächerlich macht, aber er hätte es mir ohnehin nicht geglaubt. Männer sind sehr naiv, wenn es um das Bewahren von Geheimnissen geht. Nuh II. hat getobt wie ein Stier, als ihm zu Ohren kam, dass man sich bereits in den Gassen der Stadt das Maul über ihn zerreißt. Alle und jeden hat er verdächtigt, aber den Verräter hat er bis heute nicht gefunden.« Sekireh lächelte schadenfroh. »Die Männer sind natürlich überaus entsetzt. Sie befürchten, dass du eine Art Krankheit in den Harem eingeschleppt hast, die sich nun unaufhaltsam wie eine Seuche unter den Frauen Bucharas ausbreiten wird. Einige von ihnen leiden unter schweren Alpträumen, in denen sie von ihren Frauen grün und blau geschlagen werden.« Beatrice musste lachen, und Sekireh stimmte mit ein. »Ja, sie fürchten sich. Und sie bedrängen den Emir, dich so schnell wie möglich aus Buchara zu entfernen, bevor dieses Übel, wie sie es nennen, weiter um sich greift. Sie stoßen damit jedoch auf taube Ohren. Nuh II. denkt nicht daran, dich fortzuschicken.«
»Und was erzählen sich die Frauen?«
»Die rätseln vor allem darüber, weshalb du es getan hast«, erklärte Sekireh. »Mittlerweile sind sie in zwei Lager gespalten. Die einen sagen, dass heftige Schläge und Bisse in deiner Heimat zum Liebesspiel gehören. So erzählt es schließlich auch Ahmad ibn Fadlan, der selbst bei den Nordmännern gewesen sein soll. Die anderen sagen, und das sind nicht wenige, dass du dich gegen die Missachtung deiner Wünsche gewehrt hast. Sie bewundern dich dafür, dass du die Dunkelheit des Kerkers ertragen hast. Sie haben so viel Ehrfurcht vor dir, dass es bislang keine von ihnen gewagt hat, dich aufzusuchen.«
»Und was denkst du, Sekireh?«
Sekireh sah Beatrice lange und ernst an,
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