Die Steine der Fatima
eine kräftige Hand schob Ali vorwärts. Was mochte jener arme Kerl mit Saddin besprochen haben?
»Seid gegrüßt, Ali al-Hussein«, erklang endlich Saddins Stimme. »Nehmt die Kapuze ab.«
Ali löste die Schnüre an seinem Hals. Er war nicht wenig erstaunt, als er den Nomaden nicht wie üblich lässig auf einem der bequemen Polster sitzen sah. Er stand am Fenster und blickte hinaus. Dabei umklammerten seine Hände den Fensterrahmen, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ali hörte, wie er die Luft zwischen den Zähnen ausstieß. Dann wandte sich Saddin zu ihm um.
»Verzeiht meine Unhöflichkeit, verehrter Ali al-Hussein«, sagte er, und ein gequältes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich hasse es, meine Klienten warten zu lassen, aber ich musste vorerst eine überaus wichtige Angelegenheit regeln.«
»Nun, das ist nicht so schlimm«, erwiderte Ali leichthin. So zornig hatte er den Nomaden nie zuvor gesehen.
»Doch, das ist es leider«, erklärte Saddin. »Es ist nicht meine Art. Ich bitte Euch nochmals um Vergebung. Macht es Euch bequem. Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten?«
An seinen Schläfen arbeiteten die Muskeln, und Ali hatte den Eindruck, dass sich der Nomade nur mit Mühe beherrschen konnte. Er sah aus, als hätte er am liebsten die Schale mit den reifen Pfirsichen quer durch den Raum geschleudert.
»Was führt Euch zu mir, verehrter Ali al-Hussein?«, fragte Saddin höflich.
»Ich weiß nicht, ob ich dich damit jetzt behelligen soll. Es scheint im Augenblick Wichtigeres zu geben.«
»Macht Euch keine Sorgen. Die Tatsache, dass sich einer meiner Geschäftspartner nicht an unsere Abmachungen gehalten hat, berührt in keiner Weise Eure Wünsche. Abgesehen davon«, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und ein grimmiges Lächeln huschte über sein Gesicht, »wird diese Angelegenheit in drei Tagen geregelt sein – so oder so.«
Ali nickte. Das war also die Frist, von der der andere Mann gesprochen hatte. Er war froh, dass nicht er den Zorn des Nomaden auf sich geladen hatte. »Ich habe mir die Sache noch einmal überlegt«, sagte Ali. »Ich will nicht mehr länger warten. Ich möchte doch schon in diesem Jahr Buchara verlassen.« Saddin hob überrascht eine Augenbraue. Verlegen fuhr Ali sich durchs Haar. »Ich weiß, anfänglich sprach ich von einem längeren Zeitraum. Ich hatte noch eine Menge vor. Die Bibliothek hier birgt noch viele Schätze, die es zu entdecken gibt. Aber mittlerweile sind die Launen des Emirs unerträglich geworden. Ich bin wahrlich kein herzloser Mann. Ich weiß um die Leiden und Schmerzen meiner Patienten. Unter normalen Umständen habe ich Geduld. Es macht mir nichts aus, schreiende Kinder zu trösten, ich habe Erfahrung, Männer mit Verletzungen zu beruhigen, aber dem jammernden, wehleidigen Emir bin ich nicht mehr gewachsen. Die letzten Tage waren die Hölle.« Er machte eine Pause. »Ich will nach Bagdad.«
Saddin lächelte verständnisvoll. »Ich kann mir vorstellen, welche Qual es ist, diesem Mann zu dienen. Ich spiele hin und wieder Schach mit ihm. Er lädt mich in den Palast und klagt dann über die mangelnden Schachkenntnisse des Großwesirs.« Er seufzte.
»Dabei weiß er gar nicht, wie schwer es mir manchmal fällt, nicht gegen ihn zu verlieren.«
Er sah Ali an, und sie mussten beide lachen. Und plötzlich herrschte eine fast freundschaftliche Atmosphäre im Raum.
»Aber um zu Eurem Wunsch zurückzukommen, ich weiß nicht…«, fuhr Saddin fort und runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich kann Euch nicht versprechen, dass es mir gelingen wird, Euch noch in diesem Jahr unbemerkt aus Buchara fortzubringen. Nach meinen Informationen wird hier in den nächsten Wochen und Monaten keine Karawane mehr vorbeikommen. Natürlich könnte ich Euch bei den Hirten verbergen, aber das würde bedeuten, dass Ihr einen Großteil Eures Besitzes und Gefolges in Buchara zurücklassen müsstet. Und wenn ich Euch richtig verstanden habe, so liegt Euch gerade daran, dass Ihr Euren Besitz mitnehmen könnt.«
Ali nickte unglücklich. Seine Möbel und Teppiche waren ihm egal. Die hätte er ohne auch nur mit der Wimper zu zucken zurückgelassen. Aber ohne seine Bücher und sein geliebtes Fernrohr? Sosehr er sich über die Launen und die Wehleidigkeit des Emirs ärgerte – das war die Sache nicht wert.
»Ja«, sagte er und nickte. »Dann warte ich lieber bis zum nächsten Jahr. Ohne meine Bücher…«
»Das dachte ich mir«, unterbrach ihn Saddin lächelnd. »Aber
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