Die steinerne Pest
versucht, dann klappt es ganz gut. Was du
da liest, ist der Bericht über die Ereignisse an Bord in den
letzten beiden Tagen, bevor das Schiff unterging. Der
Kapitän schreibt, daß die Stimmung an Bord immer
schlechter wurde. Die Mannschaft war gereizt und
aggressiv, und es kam immer wieder zu Streitigkeiten und
Kämpfen unter der Besatzung. « Sie schlug eine andere
von Trautmans Markierungen auf und legte die flache
Hand mit gespreizten Fingern auf die Seite. »Die
Eintragungen des letzten Tages sind besonders schlimm.
Einige Leute gingen aufeinander los. Zwei oder drei sogar
mit Waffen, und es gab einen Toten und mehrere
Verletzte. « Sie blätterte weiter. »Und hier schreibt er, daß
sich einer der Männer plötzlich nicht mehr bewegen
konnte. Er sei von einer sonderbaren Lähmung befallen,
die seine Muskeln hart wie Stein werden ließ. « Serena trat
einen Schritt zurück und sah ihn durchdringend an. »Das
paßt, nicht wahr?« Mike nickte erschrocken. »Genau wie
auf der Insel«, flüsterte er. »Man konnte regelrecht spüren,
wie gereizt die Menschen dort waren. «
»Und ihr habt zwei Männer gesehen, bei denen es schon
angefangen hat«, fügte Serena mit tonloser Stimme hinzu.
»Also werden sie... alle davon befallen?« fragte Mike
erschrocken. »Die ganze Insel?« Serena schüttelte den
Kopf. »Ich rede nicht von der Insel, Mike«, sagte sie.
Wieder deutete sie auf das Buch. »Was dort beschrieben
ist, ist dasselbe, was hier passiert. Seit wir auf dieses
Schiff gestoßen sind, haben wir uns alle zum Schlechten
verändert. In den ganzen Jahren, die wir nun
zusammen
sind, habe ich nicht soviel Streit und Zorn erlebt wie in
den letzten Tagen. « Deshalb also waren Serena, Juan und
Chris so erschrocken gewesen.
Mike fiel plötzlich der Krake ein, der ihn vor dem
Wrack der TITANIC attackiert hatte: ein an sich harmloses, eher scheues Tier, das unter normalen Umständen
niemals einen so großen Gegner wie einen Menschen
angreifen würde und das sich doch wie toll gebärdet hatte.
Und die Stimmung an Bord war von jenem Moment an, in
dem sie die Spur des Sternenschiffes aufnahmen, praktisch
minütlich schlechter geworden. Er hatte sich ja schon die
ganze Zeit über immer wieder Gedanken deswegen
gemacht. Und er hatte die beginnende Veränderung auch
an sich selbst bemerkt. »Aber das würde bedeuten, daß... «
»... daß es uns auch trifft, ja«, führte Serena den Satz zu
Ende.
»Du meinst, wir... wir werden auch zu Stein?« flüsterte
Mike.
Serena antwortete nicht.
»Vielleicht... vielleicht ist es nur... nur eine Art Nebenwirkung«, fuhr Mike stockend fort. »Es muß uns nicht
auch so ergehen wie den Eingeborenen und den
Männern an Bord des Schiffes. Vielleicht ist es das, was
man am Anfang spürt, wenn man ihm zu nahe kommt.
Niemand sagt, daß wir so enden müssen wie die anderen.
«
»0 doch«, flüsterte Serena. »Und Trautman weiß das. Er
hat es die ganze Zeit über gewußt und wahrscheinlich nur
nichts gesagt, um uns nicht zu ängstigen. Deshalb will er
das Sternenschiff um jeden Preis zerstören. Vielleicht hört
es auf, wenn es nicht mehr da ist. « »Und wenn nicht?«
fragte Mike leise. »Dann sind wir verloren«, antwortete
Serena. Für einen Moment drohte Mike in Panik zu
geraten. Es war nicht einmal die Angst vor dem Tod.
Natürlich spürte er auch sie, aber es war nicht das erste
Mal, daß sie sich in einer gefährlichen Situation befanden,
und trotz seiner Jugend auch nicht das erste Mal, daß er
ernsthaft über die Möglichkeit nachdachte, sterben zu
müssen. Und trotzdem war ihm eine Gefahr nie so
furchtbar erschienen. Der steinernen Pest zu erliegen, die
die Männer an Bord des Frachters dahingerafft und auch
unter den Bewohnern der Insel schon die ersten Opfer
gefordert hatte, war eine solch schreckliche Vorstellung,
daß sich alles in ihm einfach weigerte, sie auch nur als
bloße Möglichkeit zu akzeptieren.
»Weisser«, sagte er plötzlich. »Dieser Mann, der sich
Weisser nennt, er weiß etwas darüber. Vielleicht kann er
uns helfen. Wir müssen noch einmal zurück auf die Insel.
«
»Trautman wird das nicht zulassen«, sagte Serena traurig.
Mike deutete auf das Buch. »Weiß Trautman, daß du es
hast?«
»Nein. « Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht
gewagt, es ihm zu sagen. Er ist so... zornig geworden. Er
macht mir angst. Alle hier machen mir angst. «
»Mir auch«, bestätigte Mike. »Aber wir müssen es ihm
sagen. Vielleicht gibt es ja doch eine andere
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