Die steinerne Pforte
es Euch nicht gelingen sollte herauszukommen?«
»Dann werde ich sterben . . . Wie auch meine Brüder, wenn sie gegen diese vermaledeiten Heiden kämpfen müssen. Doch immerhin wird so der Schatz von Colum-Chill gerettet werden.«
Er musterte Sam mit einem Lächeln. »Zieh nicht so ein Gesicht, Junge! Dein plötzliches Auftauchen hat uns Hoffnung gegeben. Zumindest einigen von uns. Dass du genau einen Tag, bevor wir unseren Feinden gegenübertreten werden müssen, auf unsere Insel gekommen bist, kann kein Zufall sein. Der heilige Colum-Chill muss deine Schritte hierher geführt haben . . .«
Bruder Ranalds Stimme klang auf einmal beinahe ehrfürchtig, und Sam erriet, dass einige Mönche ihm in ihrer Verzweiflung eine Bedeutung verliehen, die ihm nicht zukam. Immerhin waren sie ihm gegenüber dadurch vielleicht etwas nachsichtiger gestimmt.
Wieder zurück im Kloster, und nachdem sie ihren Fisch in der Küche abgeliefert hatten – die Bohnenstange verstand sich aufs Fischen wie kein anderer –, gab Ranald ihm zu verstehen, er solle ihm zu dem Haus direkt neben der Kirche folgen.
»Du wirst jetzt gleich Gelegenheit haben, den Schatz von Colum-Chill zu bewundern«, raunte er ihm zu, während er die Tür zum Skriptorium öffnete.
Sam stand mit offenem Mund da. Wenn nur sein Vater hier gewesen wäre! Er, der jedes Mal in Verzückung geriet, wenn ein Buch nur ein bisschen abgeschabt aussah . .. Diese Mönche mussten die Letzten sein, die noch auf diese Weise arbeiteten.
Einige hockten auf kleinen Schemeln, vor sich ein aufgeschlagenes Buch, dessen Text sie auf große Bögen Pergament übertrugen. Alles mit der Hand und noch dazu in dieser unbequemen, über die eigenen Knie gebeugten Haltung! Andere waren damit beschäftigt, das Pergament zu falten und zu einzelnen Bögen zusammenzubinden, die am Ende alle zusammen zu einem Buch wurden. Die nächsten verzierten an ihren Stehpulten mit sicherem Pinselstrich die beschriebenen Seiten mit farbigen Zeichnungen. Der Raum wurde von zahlreichen Öllampen, die an langen Ketten von der Decke hingen, in ein sanftes Licht getaucht. An den Seiten standen grob zusammengezimmerte Regale, in denen eine große Anzahl bereits fertig gestellter Exemplare lagerten oder auch solche, die noch darauf warteten, reproduziert zu werden. Einige von ihnen hatten schwere Einbände aus einem silberfarbenen Metall und waren mit Gravuren verziert.
Unter dem bohrenden Blick des Buckligen führte Ranald Sam zu einem Tisch im äußersten Winkel des Raums. Auf der pultartig hochgestellten Platte lag ein Buch, wie Sam noch nie auch nur annähernd eins zu Gesicht bekommen hatte. Der Einband aus massivem Gold war mit einem Relief geschmückt, das die Figur eines Heiligen zeigte, der von Engeln und Fabeltieren umringt wurde. Zudem war er mit einer Vielzahl von blau, rot oder grün schimmernden Edelsteinen besetzt, einige von der Größe eines Daumennagels . . . Der Schatz von Colum-Chill!
»Es ist unsere schönste Abschrift des Evangeliums«, flüsterte die Bohnenstange kaum hörbar.
»Bruder Ranald«, grummelte der Bucklige. »Die Regel!«
Ranald schien die Bemerkung zu überhören, woraufhin der andere brummend den Saal verließ. Unter Sams bewundernden Blicken löste die Bohnenstange die mächtigen Schließen und schlug das Buch auf. Die Seiten waren mit einer schönen alten Handschrift bedeckt und mit detailreichen, sehr fein ausgeführten Zeichnungen in den leuchtendsten Farben geschmückt. Menschliche Figuren oder geometrische Formen. Sam kannte sich zwar mit so etwas nicht aus, aber selbst wenn das hier nur eine Kopie sein sollte, musste ein solches Meisterwerk ein Vermögen wert sein!
Es waren noch keine drei Minuten vergangen, als sie hinter sich die Tür schlagen hörten. Der Abt kam hereingerauscht, den Buckligen im Gefolge.
»Bruder Ranald . . .«, begann der Abt. »Wie auch immer die Umstände sein sollten, dieser Junge darf nicht den Frieden unseres Skriptoriums stören. Um keinen Preis! Bringt ihn zurück in den Stall und sperrt ihn dort bis zur Abendmahlzeit ein.«
»Aber, ehrwürdiger Vater, Ihr sagtet doch selbst, dass . . .«, versuchte Ranald sich zu verteidigen.
»Übt Euch in Gehorsam, Ranald, oder Ihr werdet beide Buße tun . . . Außerdem ist es bereits später Nachmittag, es wird Zeit, unsere Schriften in Sicherheit zu bringen. Lasst die Glocke läuten und alle ins Skriptorium rufen. Und was dich angeht, mein Junge, du hast mich wohl verstanden: Ich möchte dich bis zum
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