Die steinerne Pforte
nicht bekommen!«
»Darum geht es nicht. Ich habe mit dem Wesir gesprochen. Die Getreidespeicher sind leer, wir müssen warten, bis wir Weizen und Gerste aus dem Norden bekommen. Zwei Dekaden, höchstens drei. Bis dahin kann die Verwaltung nichts machen.«
»Die Speicher sind leer, aber die Priester und die Schreiber essen immer noch ziemlich gut! Wir anderen, hier im Dorf, wir haben unsere letzten Reserven aufgebraucht. Wenn wir uns nicht selbst helfen würden ...«, begann sie.
Dann unterbrach sie sich schnell, aus Angst, zu viel gesagt zu haben.
Doch der Schreiber ging nicht darauf ein: »Aber eine Revolte führt doch zu nichts, Nout. Niemand hat etwas davon. Dein Mann könnte seine Arbeit verlieren und mit ihm viele andere Arbeiter auch. Was würdet ihr machen, wenn euch die Verwaltung davonjagte?«
»Peneb ist der beste Bildhauer Thebens, und seine Männer gehören zu den besten in ganz Ägypten. Die Verwaltung würde Jahre brauchen, um sie zu ersetzen.«
»Vielleicht«, räumte der Schreiber in süßlichem Tonfall ein. »Aber bist du bereit, dieses Risiko einzugehen? Was ist der beste Bildhauer wert, wenn er kein Dach mehr über dem Kopf hat und seine Kinder auf der Straße betteln müssen? Du hast zwei niedliche Söhne, wie man mir sagte, Nout. Ich rate dir, überlege es dir gut.«
Er ging zur Tür und drehte sich auf der Schwelle noch einmal um.
»Übrigens, wie macht sich Penebs junger Neffe?«
Sam hatte von der Terrasse aus alles mitgehört und bemerkte mit einem Mal einen trockenen Kloß in seinem Hals.
»Nun ja, ich glaube nicht, dass er sehr begabt ist, auch nicht sehr arbeitswillig. Peneb überlegt schon, ihn wieder zu seinem Bruder nach Memphis zurückzuschicken.«
»Das habe ich mir gleich gedacht«, gab der Schreiber mit einem höhnischen Grinsen zurück. »Er schien mir ein ziemlicher Schwächling zu sein. Und dann noch diese Blässe, beinahe kränklich. Falls er zur Ankurbelung ein paar Peitschenhiebe nötig hat, schickt ihn zu mir.«
Am folgenden Tag hatten sich, trotz des Besuchs des Schreibers, die Wogen zwischen den Arbeitern und der Verwaltung alles andere als geglättet. Peneb kam ungewöhnlich früh von der Baustelle nach Hause, begleitet von einem halben Dutzend Mitstreiter, die allesamt furchtbar aufgebracht schienen.
»Das Grab des Setni ist vollendet«, erklärte er und legte seinen Stoffbeutel auf eine Truhe. »Wir legen die Arbeit nieder.«
»Ihr arbeitet nicht mehr?«, wiederholte Nout ungläubig.
»Wir haben darüber gesprochen, wir sind uns alle einig. Wir werden nichts machen, bis wir unsere Lebensmittel bekommen.«
»Und«, fügte ein Arbeiter hinzu, der die Statur eines Ringers hatte, »wir haben beschlossen, uns direkt im Palast zu beschweren. Bei mir zu Hause ist kein einziger Tropfen Bier mehr in den Krügen, und das Wasser, das noch übrig ist, ist verdorben. Meine kleine Tochter ist gerade drei, und sie weint jeden Abend vor Hunger und Durst!«
»Mesou hat recht«, fiel ein anderer ein, »wir müssen was uns zusteht im Palast des Ramses einfordern. Wenn wir nur hier sitzen und warten, wird nichts passieren!«
»Ja, auf zum Tempel des Ramses!«, erhob sich ein einstimmiger Chor. »Zum Tempel der Millionen Jahre!«
Während sich die Gemüter der Arbeiter weiter erhitzten, trat Samuel zu Nout.
»Ahmousis, Setnis Sohn ... ist er nicht dort Priester?«
Nout nickte kurz und ging, um nachzusehen, was sie ihren Gästen zu trinken und zu essen anbieten konnte. Mitten in dem Stimmengewirr erinnerte sich Sam plötzlich an die Unterhaltung, die er in der Grabkammer belauscht hatte: »In fünf Tagen ist Vollmond«, hatte eine geheimnisvolle Stimme gemurmelt, »dann muss er zum Tempel des Ramses gehen und sein rituelles Bad nehmen. Zur sechsten Stunde der Nacht wirst du einen deiner Männer auf der Außenmauer postieren. Ein Pfeil wird genügen.«
Und wer konnte dieser »er«, dessen Ermordung man plante und der die Grabkammer des Setni besichtigt hatte, anderes sein als Ahmousis, dessen Sohn? Ahmousis, der auch Priester im Tempel des Ramses war und dessen Funktion bestimmte rituelle Handlungen bei Vollmond beinhaltete . . .
Samuel zählte fieberhaft mit den Fingern ab: eins, zwei, drei, vier . .. fünf Tage war er jetzt in Ägypten. Genau fünf Tage! Kaum zu fassen, dass er diese Einzelheiten aus den Tiefen seiner Erinnerung hervorholen musste! Oder hatte er es vor lauter Angst einfach verdrängt. . .
Auf jeden Fall musste er Ahmousis warnen.
Aber sollte er nicht
Weitere Kostenlose Bücher