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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prevost Andre
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Ergebnis war, dass Samuel während seines gesamten Aufenthaltes nur einen einzigen Ausflug erlebte. Eines frühen Morgens, Peneb war bereits zur Arbeit gegangen, wurde er von Nout geweckt.
    »Sem, willst du mitkommen? Ich gehe zum Markt nach Theben.«
    »Zum Markt nach Theben?«
    »Ich kenne die madjaïou, die heute Wachdienst haben, sehr gut. Sie werden uns passieren lassen.«
    Sam überlegte nicht lange: Markt bedeutete Einkaufen und Einkaufen bedeutete Geld und Geld bedeutete Münzen. Und Münzen bedeutete . . .
    Während Nout ihre beiden Körbe vorbereitete, legte er den Lendenschurz an, den sie ihm geliehen hatte. Begleitet von Didou und Biatou, die nackt um sie herumhüpften, passierten sie ohne Probleme die Grenze des Dorfes, nachdem sie den beiden Wachen zwei Pakete Honigplätzchen zugesteckt hatten. Dann gingen sie bis zu einer Anlegestelle, von der aus sie auf einer langen Barke ans andere Ufer des Nils gerudert wurden. Auf dem Nil herrschte ein Treiben wie an einem Sonntagabend auf der Autobahn. Das Dorf Set-Maat lag auf dem Westufer des Flusses, auch Totenufer genannt: Außer den Siedlungen für die Arbeiter gab es dort nur gigantische, den Pharaonen gewidmete Paläste und ein Steilufer, in das Höhlen zur Bestattung der Toten gegraben wurden. Aber was die Pyramiden anging, hatte er Pech: Peneb hatte ihm erklärt, dass man schon seit langer Zeit keine mehr baute – zu teuer – und dass es hier in der Gegend sowieso nie welche gegeben hatte. Ein weiterer Minuspunkt für die Austauschorganisation . . .
    Als sie sich dem Ufer der Lebenden näherten, war Samuel von der Schönheit Thebens schier geblendet. Die Stadt erstreckte sich über mehrere Kilometer entlang des Nils, eine Mischung aus luxuriösen Vierteln, imposanten Monumenten und einem Gewirr enger Gassen, das Ganze in leuchtenden Ockertönen. Der Markt im Schatten des großen Amun-Tempels wimmelte im wahrsten Sinne des Wortes vor Leben: Begrüßungen und Rufe schallten hin und her, es herrschte dichtes Gedränge, die Stände quollen über von Früchten, Blumen, farbigem Tongeschirr, Geflügel und den verschiedensten Arten von Stoffen. Nout schlängelte sich leichtfüßig und sehr gezielt mitten durch die Menge und die zahlreichen Esel, die als Lasttiere dienten. Sie kaufte eine ganz bestimmte Menge Feigen bei einem ganz bestimmten Händler, einen Bund Porree bei einem anderen und ihren Koriander immer nur bei einer alten Nubierin mit faltigem Gesicht. Leider fand Sam schnell heraus, dass hier auf dem Markt niemand mit Geld bezahlte. Man tauschte untereinander und verhandelte mit großem Geschick, sodass Nout zum Beispiel am Ende für vier Honigkuchen aus eigener Herstellung einen Topf Gänseschmalz oder einen Topf Wachs bekam. Die Thebener benutzten keinerlei Münzen! Sie schienen nicht einmal zu wissen, dass es so etwas gab!
    »Stimmt etwas nicht, Sem?«
    Der Blick des Jungen verlor sich auf der imposanten Außenmauer des Amun-Tempels.
    »Nein, ich habe mich nur gefragt ... Ist das nicht der Tempel des Amun, in dem Setni Priester war?«
    Sie nickte nur und bedeutete ihm, nicht so laut zu sprechen.
    Sam war gerade ein Gedanke gekommen: »Und Setnis Sohn, kennt Ihr den?«
    »Nur dem Namen nach, er heißt Ahmousis.«
    »Er wohnt doch sicher hier in Theben?«
    »Ja, in einem sehr schönen Anwesen in der Nähe der Domäne von Montou.«
    »Könntet Ihr . . . könntet Ihr mich dorthin führen?«
    Nout zog die Augenbrauen zusammen.
    »Auf keinen Fall. Erstens weiß ich gar nicht genau, wo es liegt. Und selbst wenn ich es wüsste, würden seine Diener uns niemals hineinlassen. Ist es, weil du wieder eine Stelle als Hausdiener suchst?«
    Samuel machte eine vage Handbewegung.
    »Denk daran, dass Peneb dich noch braucht, Sem. Wenn du heute nicht ins Dorf zurückkämest, könnte der Schreiber ihm große Unannehmlichkeiten machen. Gedulde dich noch ein oder zwei Tage!« Und Nout hatte recht. . .
    Sie waren kaum eine Stunde wieder aus Theben zurück, als der Schreiber plötzlich, eskortiert von zwei Wachen, im Haus des Vorarbeiters erschien. Nout trat ihm mit unbefangener Miene entgegen.
    »Suchst du Peneb, Schreiber?«
    »Nein, ich wollte dich sprechen.«
    »Mich?«
    »Ja, dich. Eine Ehefrau kann ihrem Mann gegenüber andere Argumente vorbringen als die Verwaltung . . . Du musst ihn davon abbringen, den Aufstand zu führen.«
    »Den Aufstand? Aber der Aufstand der Männer ist doch berechtigt, Schreiber! Wir haben unsere Zuteilungen seit mehr als einem Monat

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