Die steinerne Pforte
Hier sieht man, wie der Gott Thot ihm einen Gegenstand überreicht, der für ihn eine große Bedeutung gehabt haben muss.«
»Und dieser Gegenstand, wisst Ihr, was sich dahinter verbirgt?«
»Keine Ahnung. Gemäß Setnis Willen hat uns sein Sohn diese Vorlage gegeben. Die Priester des Amun haben manchmal Wünsche, die wir nicht verstehen.«
»Aber Setnis Sohn müsste es doch wissen, oder?«
»Nicht unbedingt. Wir haben vor Beginn der Arbeiten mit ihm darüber gesprochen, doch er konnte mir auch nicht genau sagen, um was für einen Gegenstand es sich handelt. Wenn du mich fragst, ist es ein heiliges Gefäß, das der Gott ihm schenkt und es dabei umgekehrt hält. Aus welchem Grund, das . . .«
»Hat vielleicht die Tatsache, dass Thot und kein anderer Gott ihm das Geschenk überreicht, eine Bedeutung?«
Peneb nickte anerkennend.
»Für einen kleinen ungebildeten Diener bist du ganz schön aufgeweckt. Thots Wahl ist in der Tat niemals willkürlich. Aber du weißt so gut wie ich, dass Thot-mit-dem-Ibis-Kopf nicht nur der Schutzgott der Magier ist, sondern auch der Ärzte oder der Schreiber . . . Außerdem ist er natürlich noch der Herr über die Zeiten, der Jongleur der Tage und Jahreszeiten. Aber das bringt uns bei unserer Frage auch nicht weiter, nicht wahr? Aber es ist gut, dass du einen wachen, neugierigen Verstand hast. Komm«, fügte er hinzu und stand auf, »ich bin jetzt mit dem Vorraum fertig. Lass uns den Malern sagen, dass sie jetzt am Zuge sind.«
Samuel folgte ihm, immer noch starr vor Staunen. Thot der Herr über die Zeit, der Jongleur der Tage und Jahreszeiten!, wiederholte er immer wieder im Stillen.
7.
Der Palast der Millionen Jahre
Nachdem er einige Tage mit Peneb verbracht hatte, kam Sam sich vor wie auf einer Sprachreise im Ausland. Ein paar von seinen Freunden fuhren in den Ferien nach Europa, um ihre Deutsch- oder Italienischkenntnisse zu verbessern – in Wirklichkeit erweiterten sie vor allem ihre Kenntnisse in Bezug auf Mädchen, Musik und dergleichen. Warum also nicht einmal nach Ägypten reisen anstatt nach Deutschland oder Italien? Abgesehen davon, dass die Zeitverschiebung zu seiner Gastfamilie drei- bis viertausend Jahre betrug . . .
Im Übrigen war sie ausgesprochen nett. Nout, Penebs Frau, hatte ihn aufgenommen wie seinen Lieblingsneffen, ohne Fragen zu stellen. Sie selbst hatten zwei kleine Söhne, Didou und Biatou, die am liebsten die ganze Zeit durch die Gegend rannten und lachten. Am ersten Abend hatte die Mutter sie gebeten, Sam zu zeigen, wie er sich in dem kleinen Becken hinten im Garten waschen konnte. Dann hatte sie ihm etwas zu essen gemacht: getrockneten Fisch mit einem Mus aus Gurken und Zwiebeln, dazu Rosinen und Honigkuchen, insgesamt eine wesentlich bekömmlichere Mahlzeit als die Klosterküche auf Iona. Für die Nacht hatte sie ihm auf der Dachterrasse des Hauses unter dem Sternenhimmel eine Matte hingelegt. Die Luft war angenehm lau und voller unbekannter Düfte, und Sam hatte, seit er sein eigenes Zimmer verlassen hatte, nicht mehr so gut geschlafen. Was die Unterbringung und die Gastfreundschaft anging, hätte er es kaum besser treffen können.
Was allerdings die angebotenen Aktivitäten betraf, war seine Austauschorganisation weniger einfallsreich. In der Arbeitersiedlung Set-Maat lebte es sich wie in einem von der Außenwelt abgeschirmten Lager, streng bewacht von den madjaïou, der örtlichen Polizei. Unter dem Vorwand, dass die Männer an der Ausschmückung der königlichen Grabstätten arbeiteten, wurde ihre Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Die Verwaltung fürchtete, sie könnten Plünderern Informationen über Schätze und Grabbeigaben und deren Ort zufließen lassen. Die Folge war, dass die Bewohner, außer wenn sie zu ihrer Arbeitsstelle gingen, das Lager kaum verließen. Es gab sogar spezielles Personal, das alle Aufgaben erledigte, die sie mit der Außenwelt in Kontakt gebracht hätten, wie das Fischen, die Einkäufe, das Wäschewaschen, Wasserholen und so weiter. Dadurch verbrachten die Leute in Set-Maat die meiste Zeit unter sich, besuchten sich gegenseitig, organisierten Abendveranstaltungen, bei denen gesungen und getanzt wurde, oder veranstalteten Wettkämpfe bei einer Art Damespiel mit undurchschaubaren Regeln. Didou und Biatou hatten zwar versucht, es ihm zu erklären, aber meist hatte er spätestens beim fünften oder sechsten Zug alle seine Spielfiguren verloren, was die beiden Kinder jedes Mal sehr lustig fanden.
Das
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