Die steinerne Pforte
dann machte der Schreiber auf dem Absatz kehrt und stieß wütend die neugierigen Zuschauer beiseite, die sich im Eingang drängten.
»Der Wesir hat ein Auge auf euch, auf die ganze Mannschaft der Linken! Vergesst das nicht!« Schweigend standen die Männer da, auch als der Schreiber längst verschwunden war. Ihre misstrauischen Blicke ruhten auf Sam. Sie wussten offensichtlich nicht, was sie von ihm halten sollten.
Endlich brach einer von ihnen das eisige Schweigen und fragte grinsend: »Na dann, Peneb, willst du deinen Neffen nicht willkommen heißen?«
Einige applaudierten, und Peneb half Sam auf die Beine. Der Vorarbeiter teilte jedem seine Arbeit zu, dann führte er Sam bis zu einem Vorraum, in dem er selbst an einem Wandbild arbeitete. Wortlos wies er ihn an, sich zu setzen, und machte sich im Schein der Öllampen an die Arbeit, als wäre nichts geschehen. Mithilfe einer feinen Klinge und eines kleinen Holzhammers meißelte er die Umrisse der Figuren nach, die vorher in ein riesiges Liniengitter auf der Wand übertragen worden waren. Vier Fünftel hatte er bereits fertig eingraviert, jetzt arbeitete er an einer lebensgroßen Figur, der ein Gott mit Reiherkopf ein Geschenk überreichte – auf jeden Fall war es ein Vogel mit einem langen Schnabel. Fasziniert und erschöpft von der Hitze, sah Sam zu, wie er mit großem Geschick die Falten eines Gewandes oder die Kontur eines Arms aus dem Stein modellierte. Sein Bein brannte immer noch. Er wagte kaum, sich zu bewegen.
Mehr als drei Stunden vergingen, bis Peneb ihn ansprach und aus einer dumpfen Benommenheit riss.
»Du bringst mich in eine schwierige Lage, Junge. Der Schreiber wird die Wachen anweisen, dass sie uns unter strenge Beobachtung stellen. Die Arbeiter, die Zugang zu den Gräbern haben, sind zur Geheimhaltung verpflichtet, und wenn du heute verschwinden würdest, würde man von mir Rechenschaft verlangen. Du wirst eine Weile bei mir bleiben müssen, sonst werden sie mich verdächtigen, nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Außerdem wartet der Schreiber nur auf eine Gelegenheit, mich rauszuwerfen.«
Peneb machte eine kurze Pause und konzentrierte sich auf das Auge der Hauptfigur, bevor er fortfuhr: »Das hier ist Setni, der Hohepriester des Amun. Er ist vor zwei Monaten gestorben. Die Einbalsamierer werden bald mit ihrer Arbeit fertig sein, dann wird seine Mumie in den Sarkophag gelegt. Ich hoffe nicht, dass du gekommen bist, um das Grab zu finden und dann auszuplündern . . .«
Zum ersten Mal an diesem Nachmittag wandte er sich direkt an Sam: »Du bist auf der Flucht, nicht wahr? Hat man dich geschlagen oder dir nicht genug zu essen gegeben? Ich habe schon so manche kleine Diener wie dich erlebt, die der schlechten Behandlung durch ihren Herrn entkommen wollten. Die Reichen genießen ihren Reichtum immer erst richtig, wenn sie von Armen umgeben sind! Pah!«
Er spuckte verächtlich auf den Boden und machte sich an das Geschenk, das der Gott mit dem Reiherkopf hielt. Von Zeit zu Zeit warf er einen prüfenden Blick auf das Papyrusblatt, auf dem jedes Detail des Wandbildes vorgezeichnet war. »Wie heißt du, Junge?«
»Sam«, antwortete dieser mit einem seltsam klingenden Akzent.
»Sem? Nun, dann sollst du auch etwas von deiner Lehrstunde haben, Sem ... Man muss die Klinge mit großer Geschmeidigkeit und Genauigkeit zu führen wissen. Das Auge darf nicht nur die Stelle sehen, an der die Hand ansetzt, sondern auch, welche Wirkung sie erzielen soll. Wie zum Beispiel hier . . .«
Mit einigen gezielten Schlägen meißelte er den Umriss einer Sonnenscheibe in den Stein.
»Die Aufgabe des Graveurs ist es, der Form, die er modelliert, Ewigkeit zu verleihen, verstehst du? Die Maler sind es dann, die sie mit ihren Farben zum Leben erwecken.«
Und während er sprach, ritzte er unter Sams fassungslosem Blick eine Art Grenzstein mit abgerundeter oberer Kante nach und zeichnete in der Mitte eine Sonne mit sechs Strahlen. Ein vereinfachtes, aber trotzdem genau wieder erkennbares Bild des Steins ... Das Wandbild zeigte den Sonnenstein und wie Setni, der Priester, ihn als Geschenk erhalten hatte!
Sam wurde schwindelig, ihm wurde beinahe übel.
»Entschuldigt . . . Was . . . was bedeutet diese Szene?«
Peneb antwortete nicht sogleich. Er war gerade dabei, mit dichten Schraffierungen die Vertiefung am Fuß des Steins herauszuarbeiten.
»Hier in diesem Vorraum empfängt der Tote seine Gäste. Im Allgemeinen zeigt er sich gern in wichtigen Momenten seines Lebens.
Weitere Kostenlose Bücher