Die Steinernen Drachen (German Edition)
jeglichen Kommentar und drehte sich wieder zur Tür.
„Sie brauchen es nicht zu versuchen. Die Frau Schoeberg ist gestern mit einem Koffer aus dem Haus. Die musste bestimmt wieder weiter weg, weil sie so schweres Gepäck hatte.“
Über die Schulter hinweg, blickte Frank die auskunftsfreudige Frau an, bedankte sich erneut und ging mit schnellem Schritt wieder zur Stadtbahn-Haltestelle. Das Babygeschrei hallte in seinen Ohren nach. Zusätzlich machte ihm die Hitze zu schaffen. Plötzlich fragte er sich, wie es erst im tropischen Klima Laos’ sein würde. Ob er dieser Belastung gewachsen war? Er war dabei, sich in ein Abenteuer zu stürzen, dessen Ausgang so fraglich war, wie die Suche nach dem Heiligen Gral. Verfüge ich überhaupt über die körperliche und geistige Physis, um das durchzustehen? Er schüttelte ungläubig den Kopf, welche absurden Gedanken ihn beschäftigten, so als wäre er über sechzig und altersschwach. Aber genau so fühlte er sich. Seine rechte Seite schmerzte bei jedem Schritt, dazu kamen die Druckstellen des Gurtes, die sich langsam bemerkbar machten. In seinen Handflächen fanden sich immer noch vereinzelte Dornen von den Sträuchern und sein Gesicht war bisweilen partiell grün und blau von den Schlägen der Chinesen. Sein Nacken fühlte sich verspannt und steif an und er dachte, eigentlich müsste er eine Halskrause tragen. Aber er konnte ja schlecht zum Arzt gehen. Die
Verspannung im Genick strahlte bis in seinen Kopf hinein, was sich als ein dumpfes Pochen hinter den Schläfen bemerkbar machte. In der Tat würde er in den nächsten Tagen jede Menge Aspirin verbrauchen.
Aus einer Laune heraus fuhr er nur bis Stadtmitte und lief dann die Tübinger Straße hoch. Rund um die Kirche St. Maria trieben sich immer jede Menge Penner herum und er hoffte, dort einen seiner neuen Bekannten zu treffen.
Frank wusste selbst nicht genau, was er noch von Ralf Wiegand wollte. Der Drache kam ihm wieder in den Sinn, vielleicht weil er die geschwätzige Mutter von vorhin als einen solchen bezeichnet hatte. Konnte ihm der Tätowierer noch etwas Wichtiges über das Fabeltier erzählen? Konnte Wiegand mittlerweile etwas mehr über den Vorfall in der ausrangierten Werkshalle berichten, vorausgesetzt, er war wieder einigermaßen bei klarem Verstand.
Was ist in der Halle passiert, nachdem man mich niedergeschlagen hat? Ist Wiegand überhaupt in der Lage gewesen etwas mitzubekommen, oder war er komplett dem Wahn verfallen? Hat er gesehen, wer die Chinesen ermordet hat?
Für Frank gab es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Der Platz vor der Kirche war übersät mit Obdachlosen. Es stank nach Bier, Pisse und ranzigem Schweiß. Die Hitze verstärkte den Geruch um ein Vielfaches. Bierdosen, Zeitungen, speckige Decken und zerrissene Schlafsäcke bedeckten die niedergetrampelten Rasen- und Grünflächen. Alle Parkbänke waren mit existenziellem Unrat besetzt. Stinkende, unrasierte Männer streckten ihre blassen, dreckigen Wabbelbäuche in die Sonne. Frauen mit alten, faltigen Gesichtern und strähnigen Haaren grinsten zahnlos vor sich hin, während sie selbstgedrehte Zigaretten rauchten. Auf einer Bank saß ein Paar, sie rittlings auf ihm, und knutschte hemmungslos miteinander. Der gesellschaftliche Bodensatz Stuttgarts hatte hier seinen Treffpunkt. Etablierte Bürger mieden
diese Ecke.
Er sah sich nach Wiegand um, entdeckte ihn aber nirgends. Es wurde ihm schnell zuwider, die abgerissenen Gestalten aufdringlich zu mustern. Gerade wollte er sich abwenden, als ihm ein rosafarbener Haarschopf ins Auge stach. Übrig geblieben aus den Siebzigern des letzten Jahrhunderts teilte sich ein Rudel Punker den Kirchenvorplatz mit den Obdachlosen. Mitten unter ihnen die junge Frau aus dem Bus der Linie 44. Ohne zu zögern, ging Frank auf sie zu. Als sie ihn erblickte, schlug ihr verklärter Gesichtsausdruck, von einem Wimpernschlag zum anderen, in Entsetzen um. Sie schleuderte ihm eine halbvolle Bierdose entgegen und drängelte sich durch eine Traube von Gleichgesinnten.
Frank wich dem Weißblechgeschoss aus, bekam aber eine Ladung Bier ab, die auf seine Hose spritzte. Die Punkerhorde machte keine Anstalten ihn aufzuhalten, als er mitten durch sie hindurch rannte und die Verfolgung aufnahm. Er bekam nur unverständliches Gemaule zu hören. Die bekifften Gesichter der Männer und Frauen erklärten deren träge Reaktion.
Trotz der klobigen Armeestiefel verschwand die Frau mit den pinkfarbenen Haaren schnell um die
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