Die Steinernen Drachen (German Edition)
nächste Hausecke. Als er in die Straße einbog, sah er sie durch zwei geparkte Autos hindurchhuschen. Ungeachtet des Verkehrs auf der Tübinger Straße, überquerte sie diese und setzte ihre Flucht fort. Ehe er hinterher eilte, sah er sich argwöhnisch um. Das Gesindel bei der Kirche zog in der Regel gerne die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich. Im Augenblick schien keine Streife präsent zu sein. Er sprintete los. Das auffällige Erscheinungsbild der groß gewachsenen Punkerin war problemlos unter den dahinströmenden Passanten auszumachen. Diesmal trug sie ein gelbes, ärmelloses Top und einen Schottenrock, der von mindestens fünf Nietengürteln gehalten wurde, die laut klimperten. Unmöglich, sie zu verlieren. Die Jagd endete nach etwa dreihundert Metern und er hatte die Frau fast eingeholt. Die Punkerlady schien ihren Verfolger zu spüren, denn sie sah sich nach ihm um - jedoch im ungünstigsten Moment!
Ein LKW, der in dieser Straße ansässigen Brauerei, fuhr direkt vor ihr aus dem Betriebsgelände. Die Punklady rannte ungebremst gegen das Führerhaus, prallte zurück und landete in Franks Armen. Die Fahrertür wies eine deutliche Delle auf. Auf dem hellen Lack glänzten ein paar Spritzer Blut. Über dem linken Auge der Frau prangte eine ordentliche Platzwunde, ihre Nase sah verbogen aus und blutete ebenfalls. Einer ihrer Piercing-Ringe an der Augenbraue war aus der Haut gerissen worden. Behutsam ging er in die Knie und legte die Frau auf den heißen Asphalt. Der Fahrer des Brauereilasters kurbelte die Scheibe herunter und brüllte ihnen wütend etwas entgegen. Doch er hörte nicht, was er sagte. Schaudernd starrte er in das stark blutende Gesicht der jungen Frau und wartete auf ein Lebenszeichen. Ihre Pupillen waren verschwunden und nur das Weiß der Augäpfel zu sehen. Abwechselnd schlug er ihr rechts und links auf die Wangen, um sie zu wecken.
Irgendwo am Rande seiner Wahrnehmung hörte er Leute tuscheln, Füße scharren und eine Tür knallen. Eine Sekunde später wurde er hochgerissen und gegen die Wand geschleudert. Seine lädierte Rippe dankte es ihm mit einer Schmerzeruption. Tränen stiegen ihm in die Augen. Verschwommen nahm er wahr, wie ihn der bullige LKW-Fahrer grimmig fixierte. Einige Leute umringten die Frau am Boden. Auf ihrem gelben Top sammelten sich große Blutflecken, die zusehends wuchsen. Neben ihrem rechten Arm lag der kleine Metallring aus ihrer Augenbraue und glänzte matt in der Sonne. Aus Richtung Stadtmitte fuhr langsam ein Taxi die Straße hoch. Auf der Beifahrertür des Taxis war Werbung für ein griechisches Restaurant mit dem klangvollen Namen Syrtaki .
Der Fahrer des Bierlasters bewegte seinen Mund, als ob er etwas sagen wollte. Seine linke Hand lag immer noch schwer auf seiner Schulter. Es schien, als ob sich Franks zeitliche Wahrnehmung verlangsamt hätte, denn er registrierte alles in Zeitlupe. Der Schmerz in seiner rechten Seite pulsierte. Am linken Ohr des Mannes vorbei betrachtete er das sich nähernde Taxi. Mit einer schnellen Bewegung jagte er seinen ausgestreckten Zeigefinger in das rechte Auge des Bierkutschers. Daraufhin verschwand die Pranke auf seiner Schulter und der Mann beugte sich schrill kreischend vornüber. Reflexartig zog er sein rechtes Knie nach oben und erwischte den LKW-Fahrer frontal im Gesicht. Der knickte ein und kippte nach hinten weg. Frank bemerkte nicht mehr, dass der Mann wie ein nasser Sack auf den Asphalt klatschte, denn schon war er auf dem Weg durch das Grüppchen Schaulustiger. Ungeachtet seiner bebenden rechten Seite hob er in einer fließenden Bewegung die Punklady hoch und drängte auf die Straße.
Später war er nicht mehr in der Lage zu sagen, wie er mit der Punkerin in den Armen die Autotür öffnete und sich und seine Last in das Taxi wuchtete. Er erinnerte sich nur noch an das überraschte Gesicht des Fahrers und an seinen Protest. Den Mann, seinem Aussehen nach Grieche, packte schlagartig die Angst um seine Sitze, als er das viele Blut sah. Es kostete ihn 200 Euro, damit er überhaupt losfuhr.
Anfangs wusste er nicht, wohin mit der verletzen Frau, bis ihm einfiel, dass er immer noch einen Schlüssel für die Bar in der Tasche hatte. Also ließ er sich nach Waiblingen kutschieren. Unter den misstrauischen Augen des Taxifahrers, versuchte er auf dem Weg dorthin, die junge Frau aus ihrer Bewusstlosigkeit zu holen. Sie regte sich erst, als das Taxi bereits in Waiblingen in die Bahnhofstraße einbog. Die Blutungen im Gesicht der
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